Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
umgebracht! Und dann haben Sie sie im Kofferraum liegenlassen und damit ihren Tod billigend in Kauf genommen!«
»Ich hab nur getan, was man von mir verlangt hat«, verteidigte er sich, und in seinen tiefdunklen Augen lauerte ein Anflug von Selbstmitleid. In seiner Logik sah er sich nicht als Täter, sondern als Opfer. »Ich hatte keine andere Wahl!«
»Man hat immer eine andere Wahl«, entgegnete Bodenstein. »Wer verlangt so etwas von Ihnen?«
Grasser war intelligent genug, um seine Abhängigkeit und die ständigen Demütigungen zu hassen, aber zu willensschwach, um sich davon zu befreien. Sein Tun rechtfertigte er vor sich selbst damit, dass er ja nur Befehlen anderer gehorchte, und rächte seinen lebenslang verhöhnten Stolz erbarmungslos an Schwächeren.
»Wer verlangt so etwas von Ihnen?«, wiederholte Bodenstein.
Grasser erkannte, dass Lügen nichts nutzten, und ergriff die Gelegenheit, es seinen Unterdrückern endlich heimzuzahlen.
»Corinna Wiesner. Sie ist meine direkte Chefin. Ich tue, was sie mir sagt, und stelle keine Fragen.«
Pias Telefon begann zu summen. Sie warf einen raschen Blick auf das Display. Es war die Nummer von Hans Georg, dem Bauern aus Liederbach, der für sie immer das Heu presste. Wahrscheinlich wollte er ihr mitteilen, dass er gemäht hatte. Das konnte warten.
»Hat Corinna Ihnen auch befohlen, zu filmen, wie Sie Hanna Herzmann misshandelt haben? Und hat sie Ihnen den Auftrag gegeben, Leonie Verges verdursten zu lassen und das auch noch zu filmen?«, fragte Bodenstein scharf.
»Nicht direkt«, wich Grasser aus. »So genau sagt sie mir nicht, was ich tun soll.«
»Ja, was denn nun?« Bodenstein beugte sich nach vorne. »Eben sagten Sie, Sie würden nur tun, was man Ihnen sagt!«
»Na ja.« Grasser zuckte die Achseln. »Ich krieg halt gesagt, das und das muss gemacht werden. Aber wie ich das mach, das überlässt sie mir.«
»Was heißt das konkret?«
»Auf die Idee, ’ne Polizeikontrolle vorzutäuschen, bin ich gekommen.« Grasser wirkte beinahe stolz. »Ich hab mir im Internet den ganzen Kram dazu besorgt, ist kein großer Akt. Und es funktioniert immer. Manchmal machen wir das einfach so aus Spaß, kassieren ein paar Scheine und gut ist’s.«
»Was ist mit den Filmen?«, fragte Pia.
»Es gibt halt ’ne Menge Leute, die auf so was stehen«, erwiderte er.
»Auf was?«
»Na ja, darauf, jemand sterben zu sehen. Also richtig, nicht nur gespielt.« Grasser war völlig ungerührt. »Für so einen Film wie den mit der Fernsehtante gibt’s locker zwei Mille.«
Kröger hatte schon von sogenannten Snuff-Movies erzählt. Pia selbst hatte nie einen solchen Film gesehen, aber sie wusste, dass im Internet, in IRC -Chats, in Usenet-Foren, in geschlossenen Benutzergruppen, Filme angeboten wurden, die angeblich echte Morde in voller Länge zeigten, häufig als perverse Höhepunkte härtester pornographischer Szenen, aber auch Exekutionen, Folterungen, Morde an Babys und Kindern im Kontext mit Kinderpornographie.
Grasser schilderte seine widerwärtigen Taten in einer so genussvollen Ausführlichkeit, dass Pia schlecht wurde. Er kam ihr vor wie ein brünstiges Gorillamännchen, das mit den Fäusten auf seinen Brustkasten trommelt.
»Uns reichen die Fakten«, unterbrach sie die Schilderung des Überfalls auf Hanna Herzmann. »Was war mit dem Mädchen? Wie ist es in den Fluss gelangt?«
»Immer langsam. Eins nach dem anderen«, erwiderte Grasser und genoss es, einmal im Mittelpunkt zu stehen, wo das Leben für ihn ansonsten nur eine Nebenrolle vorgesehen hatte.
Pia täuschte vor, einen Anruf zu bekommen, und verließ den Vernehmungsraum. Die Art, wie dieser Kerl sie anglotzte, sie ungeniert mit den Augen auszog, war nach alldem, was sie heute schon erlebt hatte, zu viel.
Sie lehnte sich draußen an die Wand, schloss die Augen und atmete tief ein und aus, um nicht zu hyperventilieren. Es gab so ekelhafte, kranke Menschen auf der Welt!
»Hey, alles in Ordnung?« Christian Kröger kam aus dem kleinen Zimmer, das sich zwischen den Vernehmungsräumen befand. Von dort aus konnte man durch die verspiegelten Scheiben die Vernehmungen verfolgen. Pia schlug die Augen auf und blickte in sein besorgtes Gesicht.
»Ich kann den Kerl keine Sekunde länger ertragen«, stieß sie hervor. »Mich kriegen da keine zehn Pferde mehr rein.«
»Lass mich das übernehmen.« Christian strich ihr mitfühlend über den Arm. »Die anderen sind im Lauschraum. Geh zu ihnen und hör einfach nur zu.«
Pia
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