Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
atmete tief aus.
»Danke«, sagte sie.
»Hast du heute schon irgendwas gegessen?«, erkundigte sich Christian.
»Nein. Mach ich später.« Pia rang sich ein Lächeln ab. »Das ist ja wohl hoffentlich bald vorbei.«
Sie ging zu Kai, Cem und Kathrin in den Zwischenraum und setzte sich auf einen Stuhl. Helmut Grasser ließ ein paar obszöne Bemerkungen vom Stapel, als Christian den Vernehmungsraum betrat und sich hinter Grassers Stuhl stellte.
»Komm zum Punkt, du kranker kleiner Wichser«, sagte er. »Sonst kriegst du noch mal eine Elektroschockbehandlung.«
Das süffisante Grinsen auf Grassers Gesicht erlosch.
»Haben Sie das gehört? Der droht mir mit Folter!«, empörte er sich.
»Ich habe nichts gehört.« Bodenstein zuckte nicht mit der Wimper. »Wir waren bei dem Mädchen stehengeblieben. Also. Bitte.«
Grasser warf Kröger einen finsteren Blick zu.
»Die Oksana, die blöde Schlampe«, sagte er dann, »die ist dauernd abgehauen. Ich bin immer für so ’ne Drecksarbeit zuständig und krieg eins auf den Deckel, wenn diese kleinen Zicken Ärger machen. Die ist irgendwie bis in die Innenstadt gelangt, da mussten wir uns als ihre Eltern ausgeben.«
»Wer ist ›wir‹?«, unterbrach Bodenstein ihn.
»Corinna und ich«, erwiderte Grasser.
»Von wo aus ist das Mädchen weggelaufen?«
»Vom Palais.«
»Geht es etwas konkreter?«
Helmut Grasser verzog mürrisch das Gesicht, aber dann begann er zu reden. In den Katakomben des Palais Ettringhausen in Höchst, das der Finkbeiner-Stiftung gehörte, befanden sich die Keller, in denen der Missbrauch stattfand und auch die Filme gedreht wurden, die weltweit reißenden Absatz fanden. Die Kinder wurden normalerweise in Falkenstein untergebracht, aber es waren immer einige von ihnen in Höchst, um ›zur Verfügung‹ zu stehen.
Allein dieser Ausdruck jagte Pia eine Gänsehaut über den Rücken.
Oksana, sagte Grasser, sei eigentlich schon zu alt für die Bedürfnisse der pädophilen Männer gewesen, aber der Boss habe aus unerfindlichen Gründen einen Narren an ihr gefressen. An einem Abend aber hatte Oksana seinen Zorn auf sich gezogen, weil sie sich geweigert hatte, etwas zu tun, was er verlangt hatte.
»Solange sie klein sind, sind sie leicht einzuschüchtern«, sagte Grasser so ungerührt, als spräche er über irgendwelche Tiere. »Wenn sie älter sind, werden sie hinterhältig und schlau, diese Biester. Da muss man manchmal etwas härter durchgreifen.«
Pia wandte sich ab und verbarg ihr Gesicht in den Händen.
»Ich kann das nicht mehr ertragen«, murmelte sie.
»Ich auch nicht«, antwortete Cem dumpf. »Ich habe zwei Töchter. Ich darf gar nicht an sie denken.«
»Oksana war ein zähes Ding, das sind diese Russenmädchen oft. Liegt irgendwie in den Genen«, klang Helmut Grassers Stimme aus den Lautsprechern. »Der Boss hat sie verprügelt, bis sie kaum noch japsen konnte, dann hat er sie im Whirlpool untergetaucht. Wahrscheinlich ein bisschen zu lange. War ein Unfall.«
Er zuckte die Schultern.
»Und was dann?« Bodenstein ließ sich keinerlei Gemütsbewegung anmerken.
»Kommt immer mal vor, dass eins nicht überlebt. Ich sollte sie am gleichen Abend noch wegschaffen«, antwortete Grasser. »Aber ich war ein bisschen knapp mit der Zeit, deshalb habe ich sie in den Fluss geworfen.«
»Unfassbar. Weil er knapp mit der Zeit war!«, murmelte Kathrin.
» Glücklicherweise war er das«, verbesserte Cem zynisch. »Sonst wäre nie einer darauf gekommen, was da passiert.«
»Puh«, machte Pia nur. Cem hatte recht. Der Fund des toten Mädchens war der Auslöser für eine ganze Reihe von Tragödien gewesen, die sie nicht hatten verhindern können. Hätte sich die Zeugin eher gemeldet, hätte sie das Foto von Oksana damals in der Zeitung gesehen und nicht erst bei Aktenzeichen XY , dann wäre Hanna Herzmann womöglich nichts zugestoßen, Leonie Verges könnte noch leben und Michaela Prinzler hätte nicht zwei Menschen erschossen.
Hätte, wäre, wenn.
»Geh doch endlich mal an dein Handy«, sagte Kathrin, weil Pias Telefon immer wieder summte und brummte.
»Später. Ist nicht so wichtig«, entgegnete Pia und beugte sich vor, denn Bodenstein hatte Grasser ein Foto hingeschoben.
»Was ist das hier?«, fragte er. »Das haben wir im Magen des Mädchens gefunden.«
»Hm. Sieht aus wie ein Stück von ’nem T-Shirt. Der Boss steht drauf, wenn die Mädchen diese rosa Dinger anhaben, vor allen Dingen, wenn sie schon ’n bisschen älter sind. Dann sehen sie
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