Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
und seiner Frau Unterschlupf suchte.
Sie stieß sich von der Tür ab. Der Bewegungsmelder klackte, das Licht im Durchgang ging an, wenig später war sie im Haus und schleppte sich die knarrenden Treppenstufen hoch. Geschafft! Sie schloss die Wohnungstür auf, als sie plötzlich eine Stimme hinter sich hörte.
»Da bist du ja endlich. Ich warte schon den ganzen Abend auf dich.«
Das Blut gefror in ihren Adern, die feinen Haare in ihrem Nacken stellten sich auf. Ganz langsam wandte sie sich um und blickte direkt in die blutunterlaufenen Augen von Wolfgang Matern.
*
»Pia! Hier bin ich!« Das helle Stimmchen war schrill vor Angst.
In dieser Sekunde erwachte in Pia die Löwin. Eher würde sie sterben, als diesem Ungeheuer das Kind zu überlassen.
»Bleib, wo du bist!«, herrschte Bodenstein sie an, aber Pia hörte nicht, sie drehte sich um und lief zurück in die Richtung, aus der Lillys Stimme gekommen war. An der Stelle, wo sich der Gang teilte, bog sie nach rechts ab und versuchte, sich den Gebäudeplan ins Gedächtnis zu rufen, aber vergeblich. Der Keller war ein unterirdisches Labyrinth aus Gängen, Abwasserkanälen, ehemaligen Luftschutzbunkern und zahllosen anderen Räumen. Der Teil, den sie bisher gesehen hatte, wirkte so, als sei er vor nicht allzu langer Zeit neu ausgebaut worden, der Boden war betoniert, es gab moderne Leuchtstoffröhren und Lichtschalter, aber nun gelangte sie in einen Bereich, der so alt zu sein schien wie das Palais selbst. Der Gang wurde bedrohlich niedrig und düster, Wände und Decken bestanden aus Backsteinen, der Boden war unbefestigt. Die einzigen Lichtquellen waren altmodische vergitterte Lampen, die kaum Helligkeit verbreiteten. Je tiefer Pia vordrang, desto stärker wurde der modrige Geruch nach Feuchtigkeit und Rattenscheiße. Plötzlich gähnte vor ihr ein schwarzes Loch, erst im letzten Augenblick sah sie die Treppenstufen, die in einen weiteren engen, dunklen Tunnel führten. Wasser tropfte von der Decke, und die Stufen waren so glitschig, dass sie sich an dem rostigen Geländer festhalten musste, um nicht zu stürzen. Pia hielt inne. Lauschte in die Dunkelheit.
»Lilly!«, schrie sie wieder, aber sie erhielt keine Antwort. Das einzige Geräusch, das sie hörte, war ihr keuchender Atem. War sie überhaupt noch auf dem richtigen Weg? Angst und Verzweiflung drohten sie zu überwältigen, sie musste sich zwingen, nicht einfach umzukehren, sondern weiterzulaufen. Der Gang verlief jetzt schnurgerade, es gab auch keine Abzweigungen oder andere Räume mehr, und Pia begriff, dass sie sich unter dem Park des Palais Ettringhausen befinden musste, in dem Geheimgang, der hinunter zur Nidda führte. Gleichzeitig durchschaute sie Freys Plan. Er wollte mit Lilly flüchten, vielleicht lag ein Boot im Fluss, das auf ihn wartete. Sie musste sich beeilen! Hinter sich hörte sie Schritte, riskierte einen Blick über die Schulter.
»Warte auf uns, Pia!«, rief Christian. Doch statt zu warten, lief sie noch schneller. Frey hatte einen Vorsprung, den es einzuholen galt. Plötzlich erweiterte sich der Gang und endete an einem massiven Gittertor, dessen eine Seite jedoch noch offen stand. Pia trat hinaus und mit einem Mal stand sie vor ihr, diese unbarmherzige Bestie in Menschengestalt.
»Hallo, Frau Kirchhoff.« Markus Maria Frey war etwas außer Atem, dennoch lächelte er. Im fahlen Licht des Vollmondes konnte sie sein Gesicht erkennen und seine Augen. Es war das leere Lächeln eines Wahnsinnigen, eines kranken Gemüts, das ihn hoffentlich für den Rest seines Lebens peinigen würde. Frey ging rückwärts, ließ Pia nicht aus den Augen. Mit einer Hand hielt er Lillys Oberarm fest umklammert, mit der anderen presste er dem Mädchen eine Pistole ins Genick. »Weg mit der Waffe, sofort! Und bleiben Sie da oben stehen. Sonst sehe ich mich gezwungen, die Kleine zu erschießen.«
Genau an dieser Stelle musste Helmut Grasser Oksana in den Fluss geworfen haben. Er war mit dem toten Kind auf den Armen durch den Gang gelaufen, hatte einen Moment abgepasst, in dem niemand zufällig den Spazierweg am Flussufer entlang kam, der ein paar Meter unterhalb vorbeiführte. Frey hatte den Weg erreicht, zwischen ihm und dem Fluss lag nur noch die schmale Uferböschung.
»Geben Sie auf!«, sagte Pia mit fester Stimme. »Sie haben doch keine Chance mehr. Hier wimmelt es von Polizisten.«
Tausend Gedanken rasten durch ihren Kopf. Frey war keine zehn Meter von ihr entfernt und sie war eine gute Schützin. Sie
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