Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)
dieser unerträglichen Hitze. Die kalte Dusche hatte nur kurze Linderung gebracht, nach einer halben Stunde war er wieder völlig durchgeschwitzt und wälzte sich unruhig von einer Seite auf die andere. Plötzlich schrillte sein Handy, das in der Ladestation auf dem Tisch stand. Wer mochte das um diese Uhrzeit sein? Er stand auf und warf einen Blick auf das Display, dann nahm er das Gespräch entgegen.
»Tut mir leid, dass ich so spät noch störe«, sagte eine heisere Bassstimme am anderen Ende der Leitung. »Mach mal den Fernseher an. Es ist auf allen Kanälen.«
Bevor er antworten konnte, hörte er nur noch das Besetztzeichen. Er griff nach der Fernbedienung und schaltete den kleinen Fernseher am Fußende seines Bettes ein.
Sekunden später sah er das ernste Gesicht einer blonden Frau auf dem Bildschirm. Hinter ihr blinkten Blaulichter, zwischen den von Scheinwerferlicht erhellten Bäumen glitzerte schwarzes Wasser.
»… eines jungen Mädchens gefunden« , hörte er die Frau sagen. »Nach ersten Einschätzungen lag die Leiche bereits seit ein paar Tagen im Wasser. Weitere Erkenntnisse erhoffen wir uns von der Obduktion.«
Er erstarrte.
Zwei Männer luden eine Bahre mit einem Leichensack in einen Leichenwagen, hinter ihnen trugen zwei mit Schutzoveralls bekleidete Gestalten Plastikbeutel, dann schwenkte die Kamera auf die Schleuse.
»Unweit der Staustufe bei Eddersheim wurde heute die Leiche eines jungen Mädchens im Main gefunden« , sagte der Sprecher aus dem Off. »Die Identität des Mädchens ist nicht bekannt, und die Polizei hofft auf Hinweise aus der Bevölkerung. Erinnerungen an einen ähnlichen Fall vor ein paar Jahren werden wach.«
Ein älterer Mann blinzelte in grelles Licht.
»Ei, da ist doch schonnemol ein Mädsche im Fluss gefunne worn. Drübbe, in Höchst war des, an dere Wörthspitze. Da wisse se bis heut net, wer des arme Ding gewese ist. Wenn isch misch rischtisch erinner, denn is des so zehn Jahr her, un da habbe …«
Er schaltete den Fernseher ab, stand in der Dunkelheit. Sein Atem ging so schnell, als wäre er gerannt.
»Neun«, flüsterte er gepresst. »Das ist neun Jahre her.«
Die Angst kroch wie Gänsehaut über seinen Körper. Sein Bewährungshelfer wusste, dass er hier lebte. Also war es für Polizei und Staatsanwaltschaft kein Problem, das herauszufinden. Was würde jetzt passieren? Erinnerten sie sich an ihn?
Jede Müdigkeit war verflogen, seine Gedanken überschlugen sich. An Schlaf war nicht mehr zu denken. Er schaltete das Licht ein und nahm den Putzeimer und eine Flasche Klorix aus dem Schrank neben der Küchenzeile. Sie würden kommen, alles durchsuchen und ihre DNS hier in seinem Wohnwagen finden! Das durfte auf keinen Fall geschehen, denn wenn er gegen seine Bewährungsauflagen verstieß, musste er sofort zurück in den Knast.
*
Vorsichtig schloss Pia die Haustür auf, darauf gefasst, die Hunde daran hindern zu müssen, in freudiges Begrüßungsgebell auszubrechen, um Christoph nicht zu wecken. Doch kein Hund erwartete sie im Windfang, stattdessen drang ihr der Geruch von gebratenem Fleisch in die Nase und in der Küche brannte Licht. Sie legte ihre Tasche und die Autoschlüssel auf die Anrichte in der Diele. In der Küche saßen die vier Hunde und verfolgten in synchroner Andacht jede von Christophs Bewegungen. Er stand am Herd, in Shorts, Schlaf-T-Shirt und Küchenschürze, in den Händen zwei Fleischgabeln. Die Dunstabzugshaube lief auf Hochtouren.
»Hi«, sagte Pia überrascht. »Bist du wach oder schlafwandelst du?«
Die Hunde wandten nur kurz die Köpfe und wedelten mit den Schwänzen, dann fanden sie das Geschehen am Herd wieder weitaus faszinierender.
»Hey, Süße.« Christoph grinste. »Ich hab schon fast geschlafen, da ist mir siedend heiß eingefallen, dass ich die Rouladen im Kühlschrank vergessen hatte. Ich hab Lilly doch versprochen, als Begrüßungsessen Rouladen zu machen.«
Pia musste grinsen. Sie trat neben ihn und gab ihm einen Kuss.
»Ob es in ganz Deutschland noch einen Mann gibt, der um halb zwei morgens bei geschätzten sechsundzwanzig Grad Celsius Rouladen brät? Unglaublich.«
»Ich hab sie sogar noch gefüllt«, sagte Christoph nicht ohne Stolz. »Senf, Gurke, Speck, Zwiebeln. Versprochen ist versprochen.«
Pia zog Krögers Fleecejacke aus, hängte sie über eine Stuhllehne und ließ sich auf einen der Küchenstühle sacken.
»Wie war dein Klassentreffen?«, erkundigte Christoph sich. »Muss lustig gewesen sein, wenn du so
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