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Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Böser Wolf: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nele Neuhaus
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warten Sie.« Hanna flüsterte nicht. Sie konnte Geheimnistuerei nicht leiden, und ihr stand nach diesem Horrortag der Sinn nicht mehr nach unangenehmen Überraschungen. »Was soll das hier alles?«
    »Wir werden Ihnen alles erklären«, wich die Frau ihr aus. »Sie können selbst entscheiden, was Sie davon halten.«
    Sie ließ Hannas Handgelenk los und ging den Flur entlang in die Küche. Das leise Murmeln brach ab, als Hanna durch die Tür trat. Am Küchentisch saß ein Mann, der sich ihr nun zuwandte. Der Raum schien zu niedrig und zu klein für das Gebirge aus Muskeln und sonnengebräunter tätowierter Haut, das sich nun von einem der Küchenstühle erhob. Der Mann musste mindestens zwei Meter groß sein, und bei seinem Anblick schrillten in Hannas Hirn unwillkürlich sämtliche Alarmglocken. Ein dunkler, scharf ausrasierter Bart, das lange Haar zu einem Zopf geflochten, aufmerksame dunkle Augen, die sie in Sekundenschnelle von Kopf bis Fuß abscannten. Der Mann trug ein weißes T-Shirt, Jeans und Cowboystiefel, aber die dunkelblaue Tätowierung an seinem Hals war deutlich sichtbar. Hanna schluckte. Ein solches Tattoo durften nur Mitglieder der Frankfurt Roadkings, einer berüchtigten Rockerbande, tragen. Was zum Teufel machte einer von ihnen in der Küche ihrer Therapeutin?
    »Guten Abend«, sagte der Riese mit einer seltsam heiseren Stimme und hielt ihr die Hand hin. Am Ringfinger der rechten Hand trug er einen dicken silbernen Ring, den ein Totenkopf zierte. »Ich bin Bernd.«
    »Hanna«, antwortete sie und schüttelte ihm die Hand.
    Erst dann bemerkte sie den zweiten Mann. Ein Blick aus verstörend gletscherblauen Augen fuhr ihr ohne Vorwarnung wie ein Stromstoß durch den ganzen Körper, ließ ihre Knie für einen Moment zittern. Den Rest seines Gesichts nahm sie kaum wahr. Er war ein Stück größer als sie selbst, wirkte neben dem Riesen aber wie ein zierlicher Zwerg. In dem Moment wurde Hanna überdeutlich bewusst, wie sie aussah: ungeschminkt, das verschwitzte Haar zu einem nachlässigen Haarknoten gebunden, T-Shirt, Jeans, Turnschuhe. So verließ sie das Haus normalerweise nicht einmal zum Joggen!
    »Was möchten Sie trinken, Hanna?«, fragte Leonie Verges hinter ihr. »Wasser, Cola light, alkoholfreies Bier?«
    »Wasser«, antwortete sie und spürte, wie sich ihre anfängliche Verärgerung in eine Neugier verwandelte, die über rein professionelles Interesse an einer guten Story hinausging. Was war das für ein seltsames Gespann? Wieso saßen diese beiden Männer abends um elf in Leonie Verges’ Küche? Weshalb waren sie – ohne sie zu kennen – der Meinung, sie sei geeignet, in irgendetwas hineingezogen zu werden? Sie nahm dankend das Glas an und setzte sich auf die Eckbank an den kleinen viereckigen Tisch mit der karierten Wachstuchtischdecke, Mr. Blue Eyes nahm links von ihr Platz, Leonie und der Riese auf den Küchenstühlen.
    »Stört es Sie, wenn ich rauche?«, erkundigte sich der Riese unerwartet höflich.
    »Nein.«
    Er zog eine Zigarettenschachtel hervor, ein Sturmfeuerzeug klackte. Über sein steinernes Gesicht zuckte ein kurzes Lächeln, als er das Verlangen in ihren Augen bemerkte.
    »Bitte.« Er schob ihr das Päckchen hin. Sie nahm sich eine, bedankte sich mit einem Kopfnicken und stellte fest, dass ihre Finger zitterten. Seit vier Wochen hatte sie nicht mehr geraucht, der erste Zug wirkte wie ein Joint auf ihr zentrales Nervensystem. Ein zweiter und dritter Zug, und das Vibrieren in ihrem Innern verflüchtigte sich. Sie spürte den Blick von Mr. Blue Eyes fast körperlich, ihre Haut wurde ganz heiß, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Ihr fiel ein, dass er seinen Namen gar nicht genannt hatte. Oder hatte sie ihn überhört? Jetzt nachzufragen erschien ihr peinlich.
    Für einen Moment herrschte gespanntes Schweigen, man taxierte sich gegenseitig, schließlich war es Leonie, die das Wort ergriff. Sie saß ruhig auf ihrem Stuhl, beinahe so wie bei einer Therapiestunde, aber unter ihrem gelassenen Äußeren bemerkte Hanna eine starke Anspannung und sah Falten um ihre Augen und ihren Mund, die sonst kaum sichtbar waren.
    »Der Grund, warum wir Sie heute Abend hierhergebeten haben, ist ein nicht ganz uneigennütziger«, sagte sie. »Wir erzählen Ihnen, worum es geht, und dann können Sie selbst entscheiden, ob Sie das Ganze für eine Story halten, die für Ihre Sendung interessant werden könnte, oder nicht. Falls Sie kein Interesse haben, vergessen Sie dieses Gespräch einfach. Aber

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