Böses Blut
Jennings die seine.
Er schaute hinter die weißroten Bänder, die die äußerste rechte Tür der langgestreckten Halle versperrten. Das einzige, was er durch die Regenschleier sah, waren die Leute der Spurensicherung, die sich mit diversem Werkzeug in den Händen hin und her bewegten. Er trat einen Schritt näher und stand an der Treppe eines Lagerlokals, das verblüffend an Wayne Jennings' geheime Folterkammer in Kentucky erinnerte. Der am Boden verschweißte gußeiserne Stuhl schien nahezu identisch zu sein, ebenso die Betonwände und die nackte Glühbirne.
»Wie sieht es aus?« rief er den Technikern zu.
»Ganz ordentlich«, rief einer von ihnen zurück. »Viel organisches Material hier. Hauptsächlich vom Opfer, nehme ich an, aber weil er nicht dazu kam sauberzumachen, könnten wir Glück haben.«
Als das Licht in den Raum fiel, sah er relativ harmlos aus, entwaffnet. Hier hatte also die eigentliche Konfrontation stattgefunden. Hier hatte sich Lamar Jennings mit dem nach einem Abdruck in Modelliermasse angefertigten Schlüssel Zugang verschafft, sich hinter die Kartons in der Ecke gelegt und auf den Vater gewartet; das wirkte am plausibelsten. Wayne Jennings kam mit Eric Lindberger, der entweder bereits bewußtlos oder noch mit Jennings im Gespräch war, setzte ihn in den Stuhl, zog seine Zangen hervor und fing an. Die Konfrontation mit dem teuflischen Vater, den er fünfzehn Jahre lang für tot gehalten hatte, noch dazu beim Ausführen der Handlung, die das grauenvollste seiner inneren Bilder ausmachte, wurde zuviel für Lamar, er konnte nicht kalt bleiben, sondern verriet sich. Wayne hörte ihn, zog die Pistole und exekutierte ihn auf der Stelle.
Man konnte also kaum von einer Konfrontation sprechen. Ein schnelles Beseitigen eher, ohne weitere Überlegung, wie wenn man eine Mücke totschlägt, ohne mit dem Rasenmähen aufzuhören. Ein stilechtes Ende.
Hjelm ging in den Eingang unter dem großen, grotesken LinkCoop–Logo und sprach mit der Rezeptzionistin, einer gegerbten fünfundvierzigjährigen Dame im blauen Arbeitsoverall, der erkennen ließ, daß sie auch als Lagerverwalterin fungierte.
»Was ist das für ein Lager da ganz hinten?« fragte Hjelm.
»Das ist ein Reserveraum«, sagte sie, ohne aufzublicken; offenbar hatte sie es heute schon mehrmals gesagt. »Das bedeutet, daß er leer steht. Wenn wir eine Lieferung hereinbekommen, die größer ist, als wir erwartet haben, gibt es da zusätzlichen Platz. Wir haben ein paar davon.«
»Hält sich dort häufiger jemand auf?«
»In Lagerräumen hält man sich nicht auf«, sagte sie schnippisch. »Da lagert man Sachen.«
Er redete ein bißchen allgemein mit den Lagerarbeitern. Keiner wußte etwas, keiner verstand etwas. Einbruch, ja, das haben wir erlebt, aber Mord, das ist vollkommen wahnsinnig.
Er verlor die Lust und fuhr nach Hause.
Nach Hause ins Polizeipräsidium.
Kerstin Holm fühlte sich nicht in der Verfassung, schwere, anstrengende Gespräche zu führen wie mit Benny Lundbergs Eltern. Sie spürte den Jetlag und hatte außerdem eine stressige Arbeitswoche hinter sich. Sie wollte schlafen. Statt dessen saß sie in einer kleinen Wohnung in Bagarmossen bei einem geschockten und trauernden Paar, das sie persönlich für ihr Unglück verantwortlich machte.
»Mit der Polizei geht es bergab«, sagte der Vater, der sich Mühe gab, das Gesicht zu wahren, obwohl jedes seiner Worte seine tiefe Trauer verriet. »Wenn sie das Verbrechen bekämpfen würden, statt sich positiver Sonderbehandlung und anderem Scheiß zu widmen, dann würde unser Sohn nicht wie ein verdammtes Paket daliegen, dem man nur noch den Gnadenschuß verpassen kann. Jeder zweite Bulle ist eine Frau. Ich bin ein alter, fetter Schulhausmeister, aber ich würde locker zehn von diesen Bullenweibern von mir abschütteln und abhauen, glauben Sie mir.«
»Ich glaube es Ihnen«, sagte das Bullenweib, um weiterzukommen.
»Laßt die Männer ihre Dinge tun und die Frauen ihre, verdammich!«
»Ihren Sohn hat ein Mann mißhandelt und keine Frau.«
»Das wäre auch noch schöner!« schrie der Vater verwirrt. »Ein Mann ist Herr in seiner Burg. Es geht mit allem bergab.«
»Jetzt hören Sie auf, und setzen Sie sich hin«, mußte sie ihn schließlich anschnauzen.
Der große Mann starrte sie an, verstummte mitten in seinem Redeschwall und setzte sich wie ein gescholtener grüner Bengel.
Kerstin fuhr fort: »Ich bedaure wirklich und zutiefst, was Ihrem Sohn zugestoßen ist, aber was er braucht,
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