Böses Herz: Thriller (German Edition)
noch nicht mal neun.«
»Falls irgendwo Scharfschützen lauern …«
»Scharfschützen?«
»… will ich wissen, wo sie sich verstecken.«
»Du hast Hamilton doch klar und deutlich erklärt, dass VanAllen allein kommen muss.«
»Ich wünschte, ich müsste mir nur wegen VanAllen Sorgen machen.«
Er hatte schon einen Fuß auf den Werkstattboden gesetzt und war halb ausgestiegen, als er noch einmal innehielt. Sekundenlang blieb er in dieser Position, dann drehte er den Kopf und sah sie über die Schulter an.
»Für ein Kind ist deins echt okay.«
Sie machte den Mund auf, um etwas zu sagen, merkte, dass sie keinen Ton herausbrachte, und nickte stumm.
»Und das mit dem Football? Das war wirklich mies. Es tut mir leid.«
Dann war er weg, und sie sah nur noch seinen Schatten, der über den müllübersäten Werkstattboden huschte und durch einen schmalen Spalt im Wellblechtor schlüpfte. Die Räder in den rostigen Schienen quietschten, als er das Tor hinter sich zuzog. Er hatte sie allein in der Dunkelheit zurückgelassen.
Und so saß sie, umgeben nur von ein paar Mäusen, die sie durch den Müll huschen hörte, seit nunmehr einer guten Stunde in einem gestohlenen Auto in einem verlassenen, ruinenhaften Gebäude und zermarterte sich den Kopf.
Sie machte sich Sorgen um Emily und Tori. Coburn hatte ihr erlaubt, in dem Haus am Lake Pontchartrain anzurufen. Nachdem sie das Telefon einmal läuten lassen und zwei Minuten später noch einmal angerufen hatte, war Tori an den Apparat gekommen und hatte ihr versichert, dass sie gut angekommen seien und alles in Ordnung war. Aber seither waren Stunden vergangen. In der Zwischenzeit konnte alles Mögliche passiert sein, ohne dass sie es wusste.
Sie dachte an Stan, der bestimmt rasend vor Sorge um sie war, und bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie sein Heim auf den Kopf gestellt hatten. So streng er auch war, er liebte sie und Emily aufrichtig. Daran zweifelte sie keine Sekunde.
Würde er je verstehen, dass sie mit dem, was sie getan hatte, nur Eddies Ruf wahren wollte? War das letzten Endes nicht viel wichtiger, als eine Kiste mit Sportmedaillen aus seiner Schulzeit aufzubewahren?
Allerdings würde Stan, so fürchtete sie, das vermutlich anders sehen und ihr nie vergeben, dass sie in Eddies Heiligtum eingedrungen war. In seinen Augen hatte sie mit ihrer Durchsuchung nicht nur ihn, sondern auch Eddie und ihre Ehe verraten. Ihre Beziehung zu Stan war damit irreparabel beschädigt.
Und immer wieder kehrten ihre Gedanken zu Coburn und seinen Abschiedsworten zurück. Für seine Verhältnisse war seine Bemerkung über Emily wirklich süß. Dass er sich dafür entschuldigt hatte, sie in die Sache hineingezogen und den Football aufgeschlitzt zu haben, war insofern bedeutsam, als er sonst nie erklärte oder entschuldigte, was er tat. Emily hatte er nur reichlich unbeholfen um Verzeihung gebeten, nachdem er sie zum Weinen gebracht hatte.
Das war wirklich mies. Es war vielleicht nicht die wortgewaltigste Abbitte, aber Honor war überzeugt, dass sie von Herzen kam. Sein hypnotisierender Blick, die klaren Augen, die in seinem ölverschmierten Gesicht noch heller als sonst gestrahlt hatten, hatten seine Reue ebenso deutlich gezeigt wie seine Worte. Es tut mir leid. Sie glaubte es ihm.
Seine schwere Kindheit hatte ihn zynisch werden lassen, und all die Dinge, die er im Dienst seines Landes gesehen und getan hatte, hatten sein Herz weiter verhärtet. Er war oft grausam, möglicherweise, weil er die Erfahrung gemacht hatte, dass man mit Grausamkeit schnell ans Ziel gelangen konnte. Wenn er etwas tat oder sagte, dann ungefiltert und entschlossen, weil er genau wusste, dass jedes Zögern tödlich sein konnte. Er machte sich keine Gedanken, ob er seine Taten später bereuen könnte, denn angesichts der vielen lebenswichtigen Entscheidungen in seinem Leben erwartete er nicht, alt zu werden.
Alles was er tat, tat er so, als hinge sein Leben davon ab.
Und die Art, mit der er es tat – wie er aß, sich entschuldigte … oder küsste –, vermittelte ihr das Gefühl, er täte es vielleicht zum letzten Mal.
In diesem Moment kam Honors Gedankenfluss zum Versiegen, und ihr dämmerte eine schreckliche Erkenntnis.
»O Gott.« Ihr leises Wimmern durchschnitt die Stille und kam aus tiefstem Herzen.
Wie aus einer Trance erwacht, setzte sie sich auf, stieß die Beifahrertür auf und kletterte aus dem Wagen. Als sie auf das Garagentor zuhastete, stolperte sie über den am Boden liegenden Müll.
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