Böses Herz: Thriller (German Edition)
Nur mit aller Kraft gelang es ihr, das schwere Tor auf den ungeölten Schienen so weit zur Seite zu schieben, dass sie sich durch den Spalt zwängen konnte, und im nächsten Moment stand sie im Freien, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, welche Gefahren ihr hier vor dem Tor drohten.
Sie hielt nur eine Sekunde inne, um sich zu orientieren, dann rannte sie los, auf die Gleise zu.
Warum hatte sie das erst jetzt begriffen? Mit seinen Anweisungen hatte sich Coburn von ihr verabschiedet. Er rechnete nicht damit, sein Treffen mit VanAllen zu überleben, und hatte ihr auf seine eigene, ungeübte und unsentimentale Weise Adieu gesagt.
Die ganze Zeit hatte er gesagt, dass er nicht damit rechnete, lange zu überleben, und als er heute Abend an ihrer Stelle gegangen war, hatte er sich damit wahrscheinlich selbst geopfert, um sie zu retten.
Aber er täuschte sich. Niemand würde auf sie schießen. Wenn der Bookkeeper glaubte, dass sie etwas Belastendes in der Hand hatte, dann würde er sie nicht töten lassen, bis er herausgefunden hatte, was sie besaß, und es in seine Gewalt gebracht hatte.
Für die Kriminellen war sie genauso unverzichtbar wie für Coburn und Hamilton und die Staatsanwaltschaft. Solange der Bookkeeper glaubte, dass sie etwas wusste oder Beweise gegen ihn besaß, war sie besser geschützt als mit einer kugelsicheren Weste.
Coburn hingegen hatte keinen Schutz.
Sein einziger Schutz war sie.
35
C oburn?«
Coburn presste die Pistole fester gegen VanAllens Nacken. »Sehr erfreut.«
»Ich hatte Mrs. Gillette erwartet.«
»Sie ist leider verhindert.«
»Geht es ihr gut?«
»Sehr gut. Sie ist im Moment nur etwas angebunden.«
»Das finde ich nicht komisch.«
»Das sollte es auch nicht sein. Ich will nur Ihnen und den Scharfschützen mit ihren Infrarotgeräten klarmachen, dass Mrs. Gillette und das Kind nicht wieder auftauchen werden, wenn sie mich umbringen.«
VanAllen schüttelte zaghaft den Kopf. »Sie haben sich Hamilton gegenüber ganz klar ausgedrückt, und er hat sich mir gegenüber klar ausgedrückt. Hier sind keine Scharfschützen.«
»Netter Versuch.«
»Es ist die Wahrheit.«
»Drahtloses Mikro? Sagen Sie das für alle, die Ihnen jetzt gerade zuhören?«
»Nein. Sie können mich abtasten, wenn Sie mir nicht glauben.«
Coburn trat mit einem geschmeidigen Schritt um VanAllen herum, hielt die Pistole aber weiter auf dessen Kopf gerichtet. Als er dem Mann gegenüberstand, schätzte er ihn kurz ab. Schreibtischhengst. Unsicher. Auf unbekanntem Terrain.
Praktisch keine Bedrohung.
Sauber oder schmutzig? Auf den ersten Blick würde Coburn ihn als ehrlich einschätzen, vor allem, weil er weder den Mumm noch die Cleverness besaß, sich nebenher zu bereichern.
Coburn vermutete, dass der Mann tatsächlich nichts von dem Scharfschützen auf dem Wasserturm auf sieben Uhr über Coburns linker Schulter wusste. Oder von dem in dem Hüttenfenster auf vier Uhr. Oder von dem, den er auf dem Dach des Wohngebäudes drei Blocks weiter entdeckt hatte.
Um aus einem so lausigen Winkel zu zielen, musste man schon ein extrem guter Schütze sein, aber theoretisch konnte man selbst von dort einen Treffer landen, und gleichzeitig hätte der Drecksack dadurch alle Zeit der Welt, um sich aus dem Staub zu machen, nachdem er Coburn den Kopf weggeblasen hatte.
Entweder war VanAllen ein begnadeter Schauspieler, oder er ahnte wirklich nichts von alldem, was eine noch erschreckendere Vorstellung war.
»Wo sind Mrs. Gillette und das Kind?«, fragte er jetzt. »Mir geht es vor allem um die beiden.«
»Mir auch. Darum bin ich jetzt hier, und sie sind es nicht.« Coburn ließ die Pistole sinken.
VanAllen beobachtete die Bewegung und schien erleichtert, nicht länger in die Mündung starren zu müssen. »Sie vertrauen mir nicht?«
»Nein.«
»Welchen Grund habe ich Ihnen gegeben, mir zu misstrauen?«
»Keinen. Aber ich will nicht, dass Sie sich benachteiligt fühlen.«
»Sie misstrauen jedem.«
»Eine lebenserhaltende Politik.«
VanAllen fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. »Sie können mir vertrauen, Mr. Coburn. Ich will genauso wenig wie Sie, dass hier irgendwas schiefläuft. Ist Mrs. Gillette wohlauf?«
»Ja, und ich werde alles tun, damit das so bleibt.«
»Sie glauben, sie ist in Gefahr?«
»Allerdings.«
»Weil sie belastende Informationen über den Bookkeeper besitzt?«
Coburn ließ die Frage unbeantwortet, immerhin bestand die winzige Chance, dass VanAllen gelogen hatte, was
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