Böses Herz: Thriller (German Edition)
regnen.
Als er sich jetzt dem Bett näherte, legte sie die Bürste beiseite und lächelte ihn schüchtern an. Die Hoffnungslosigkeit in ihrem Blick war tiefer Dankbarkeit gewichen.
Er setzte sich neben sie, aber nicht allzu dicht. »Como estás?«
»Bien.«
Er erwiderte ihr zaghaftes Lächeln, und ein paar Sekunden sahen sie einander nur an. Das Schweigen dauerte so lange, dass sie unwillkürlich zurückzuckte, als er die Hand hob.
»Pst.« Sanft legte er die Handfläche auf ihre glatte Wange. Er strich mit dem Daumen über ihre Haut und registrierte wieder einmal staunend, wie samtig sie war. Sein Blick senkte sich auf ihre Kehle, die so dünn, so verletzlich war. Um den Hals trug sie eine dünne Silberkette mit einem Kruzifix. Unter dem kleinen Kreuz, das zu glitzern begann, wenn der Schein der Lampe darauf fiel, sah er leicht ihren Puls schlagen.
Das Rasiermesser in seiner Hosentasche fühlte sich bleischwer an.
Normalerweise nahm er fünfhundert Dollar für einen Auftrag.
Es wäre blitzschnell vorbei. Ein schneller Schnitt, und sie wäre von ihrem Elend erlöst. Sie hätte nichts mehr zu fürchten, nicht einmal die Verdammnis. Tatsächlich würde er sie mit diesem Schnitt befreien. Er würde ihr das Lechzen der Männer und das unerbittliche Urteil ihres gekreuzigten Gottes ersparen. Und er hätte damit seinen Auftrag ausgeführt.
Doch statt das Rasiermesser anzusetzen, strich er mit den Fingerspitzen über ihre Kehle, streichelte das Kruzifix und versicherte ihr in leisem Spanisch, dass ihr nichts mehr passieren konnte. Er erklärte ihr, dass er für sie sorgen würde, dass sie keine Angst mehr zu haben brauchte, dass er sie beschützen würde. Der Albtraum, den sie zwei Jahre lang durchlebt hatte, war zu Ende.
Diego schwor es ihr bei seinem Leben.
Und damit zog er eine Linie. Schließlich hatte er nicht nur den Auftrag bekommen, Isobel zu töten, er sollte auch herausfinden, wer ihr geholfen hatte, aus dem Massagesalon zu fliehen, und denjenigen dann ebenfalls zur Strecke bringen.
Niemand wusste, dass Diego Isobel befreit hatte.
Und so hatte er nur zwei Worte für seinen Auftraggeber übrig: »Fick dich.«
18
T ori, vielleicht solltest du dir das mal, ähm, ansehen.«
Eigentlich war ihre Rezeptionistin so klug, sie nicht zu belästigen, wenn sie mit einem ihrer Mitglieder beschäftigt war, vor allem wenn dieses Mitglied so übergewichtig und so schlecht in Form war wie Mrs. Perkins. Tori warf Amber einen bitterbösen Blick zu und sagte dann zu Mrs. Perkins: »Noch mal sechs davon.«
Stöhnend sank die Frau in die nächste tiefe Kniebeuge.
Tori wandte sich an ihre Rezeptionistin und fragte scharf: »Also. Was gibt’s?«
Amber deutete auf die Reihe von Flachbild-Fernsehern an der Wand gegenüber den Laufbändern. Auf einem lief eine Talkshow, auf einem zweiten pries eine gealterte Seriengöttin in einer Verkaufssendung eine Gesichtscreme an, die Wunder wirken sollte. Der dritte war auf einen Lokalsender eingestellt, der die neuesten Nachrichten brachte.
Tori sah ein paar Sekunden lang zu. »Du hast mich unterbrochen, nur damit ich mir ein Update über die Schießerei in diesem Lagerhaus ansehe? Solange der Flüchtige nicht splitternackt in meiner Damensauna sitzt, interessiert mich das einen feuchten Dreck.« Sie wandte sich wieder Mrs. Perkins zu, deren Gesicht inzwischen tiefrot angelaufen war. Schuldbewusst fragte sich Tori, ob fünf Kniebeugen vielleicht genügt hätten.
»Es geht um deine Freundin«, hörte sie Amber in ihrem Rücken sagen. »Honor. Sie glauben, dass sie entführt wurde.«
Tori warf Amber einen kurzen Blick zu und drehte sich wieder zu den Fernsehern um. Erst jetzt erkannte sie in dem Gebäude, vor dem der Reporter laut der Laufschrift unter dem Bild »live vom Tatort« berichtete, Honors Haus wieder.
Gebannt starrte sie sekundenlang auf sein Gesicht, bis ihr aufging, dass der Ton abgestellt war. »O mein Gott, was sagt er da?«
»Was ist denn los?«, schnaufte Mrs. Perkins.
Tori ignorierte sie und schlängelte sich zwischen den Geräten zu den Fernsehern durch. Sie griff nach einer Fernbedienung und zielte damit auf den Bildschirm. Nach mehreren Versuchen hatte sie den Ton eingeschaltet und bis zum Anschlag aufgedreht.
»… wird befürchtet, dass sie von Lee Coburn entführt wurde, jenem Mann, der in Verbindung mit der tödlichen Schießerei in der Royale Trucking Company von Sonntagnacht gesucht wird, bei der neben sechs weiteren Opfern auch der bekannte
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