Böses Herz: Thriller (German Edition)
Zwillinge und andere Freunde sie unterstützt. Falls sie wirklich mal in die Klemme geriet und Hilfe brauchte, war sofort jemand zur Stelle.
Hier lag der Fall anders. Hier war sie völlig auf sich allein gestellt.
Trotzdem war sie nicht völlig hilflos. Sie …
»Coburn!«, jubelte Emily.
Sie sprang von der Kiste, auf der sie gesessen hatte, hüpfte über das Deck und schlang die Arme um seine Knie. »Hast du mir was mitgebracht? Mommy hat gesagt, du bist Essen holen gegangen.«
Honor schlug das Herz im Hals. Er stand nur wenige Schritte von ihr entfernt an Deck, trotzdem hatte sie keinen Laut gehört, der seine Ankunft verraten hätte. Er trug eine Baseballkappe und Sonnenbrille, die er jetzt absetzte und mit einem Bügel am Ausschnitt seines T-Shirts festhakte. An Eddies T-Shirt, korrigierte sie sich. Seine Stiefel und Hosenbeine waren von der Wade abwärts durchnässt und tropften auf das verdreckte Deck.
Er bemerkte ihren Blick und sagte: »Ich bin am Ufer entlang zurückgekommen.«
Emily hüpfte auf und ab. Den Blick fest auf Honor gerichtet, angelte er einen Lutscher aus seiner Hosentasche und reichte ihn der Kleinen. Emily fragte Honor nicht einmal um Erlaubnis, bevor sie das lila Papier herunterriss.
»Wie sagt man, Emily?«
»Danke, Coburn. Traube mag ich am liebsten.«
Verstimmt mutmaßte Honor, dass wohl jeder Geschmack, den Coburn mitbrachte, augenblicklich Emilys Lieblingssorte geworden wäre. Außerdem hatte sie nicht einmal gefragt, ob sie vor dem Essen Süßigkeiten essen durfte, sondern sich den Lutscher sofort in den Mund gesteckt.
Honor ging darüber hinweg. »Warum sind Sie am Ufer entlanggegangen? Wo ist der Wagen?«
»Den habe ich ein Stück weiter weg stehen lassen. Schließlich hätte Sie jemand in der Zwischenzeit finden können, und ich wollte nicht geradewegs in eine Falle laufen.« Er sah sie scharf an. »Sie haben gedacht, ich hätte Sie hier sitzen lassen, wie?« Ohne ein weiteres Wort stieg er vom Boot und marschierte auf die Straße zu.
Emily zog den Lutscher aus dem Mund und heulte auf: »Wo geht er hin?«
»Meine Güte, Emily, er kommt gleich wieder.« Die blinde Bewunderung ihrer Tochter für diesen Mann zerrte allmählich an ihren Nerven.
Nach wenigen Minuten tauchte er wieder auf, am Steuer eines Pick-ups, dessen schwarzer Lack in der salzigen Luft am Golf ergraut war. Der Wagen war schon älter und an der Stoßstange mit einem Aufkleber der LSU Tigers verziert. Für Honor sah er aus wie Hunderte andere Pick-ups, die dem korrosiven Küstenklima ausgesetzt und mit Aufklebern irgendwelcher Sportvereine geschmückt waren. Was mit Sicherheit ein Grund dafür war, dass Coburn ihn gestohlen hatte.
Er stellte ihn in der Nähe des Bootes ab, stieg aus und nahm mehrere Tüten von der Ladefläche. »Helfen Sie mir mal.« Er reichte Honor die Tüten über die Reling und holte dann die nächste Ladung. Nachdem er ihr auch die gereicht hatte, erklärte er: »Ich werde den Wagen verstecken.«
»Warum?«
»Weil sonst jemand die Reifen zerschießen könnte.«
Sie fragte nicht, wie er mit ihr und Emily im Schlepptau zu Fuß zu dem Pick-up gelangen wollte, falls es zu einer Schießerei kommen sollte. Offenbar war er in diesen Dingen erfahrener als sie.
Bis er wieder an Bord war und die Treppe heruntergerumpelt kam, hatte sie drei Sandwichs mit Erdnussbutter und Bananen belegt. Sie setzte sich mit Emily auf die eine Koje, er nahm die andere. Emily fragte glückselig: »Ist das ein Picknick?«
»Irgendwie schon.« Honor küsste sie auf die Stirn, auch weil es ihr leidtat, dass sie ihre Tochter vorhin so angeschnauzt hatte.
Die Tüten, die Coburn mitgebracht hatte, enthielten verzehrfertige Lebensmittel, die nicht gekühlt zu werden brauchten. Außerdem hatte er einen Vorrat an Wasserflaschen, eine batteriebetriebene Laterne, eine Spraydose mit Insektenschutz, Feuchttücher und eine Dosierflasche mit Desinfektionsmittel besorgt.
Kaum dass Emily fertig gegessen hatte, begann sie zu gähnen. Sie protestierte zwar, als Honor vorschlug, dass sie sich ein bisschen ausruhen sollte, doch bald darauf war sie fest eingeschlafen.
Coburn griff nach einem Päckchen Kekse. »Sie haben hier ein wahres Wunder vollbracht.«
Honor, die Emily mit einer uralten Zeitschrift aus einer Schublade Luft zufächelte, sah ihn fragend an. »Meinen Sie das ironisch?«
»Nein.«
Nachdem er verschwunden war, hatte sie den Besen herausgeholt und den Müll vom Boden sowie die Spinnweben von den
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