Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
sprechen«, sagte sie mit bleichen Lippen.
Ich war immer noch benommen, und mein leerer Magen störte mein Wohlbefinden. Der Tod meines Schülers, so nahm ich an, war der Grund für den Wunsch des Schulleiters, mich sprechen zu wollen.
Der Direktor tat mir leid. Sein aufgeschwemmter Körper und sein gedunsenes Gesicht waren Zeichen seiner Überforderung. Er hatte das Wachstum unserer Schule körperlich nachvollzogen, aber geistig war er vielen Kollegen unterlegen und kämpfte hoffnungslos mit Mitteln der Intrigenküche um seine Autorität. Auf seinem Schreibtisch lagen die Morgenzeitungen.
»Herr Beruto, haben Sie gelesen?«, fragte er unsicher, und ich starrte auf seine Hosenträger, die sich über seinem Bauch wölbten. Steif stand er vor mir.
Ich setzte meine Schultasche ab. »Darf ich?«, fragte ich und ließ mich in den kleinen Sessel vor dem runden Tisch fallen.
Mitfühlend sagte der Direktor: »Ich verstehe, das geht unter die Haut, wenn man den Jungen mehrmals in der Woche vor sich sah und seinen Bildungsprozess bestimmt hat. Dann haut es einen um, wenn sich der Bengel nach kriminellen Handlungen selbst das Leben ausbläst.«
Es muss meine Erschöpfung gewesen sein, denn mir kamen plötzlich Tränen vor einem Mann, der es nie fertiggebracht hatte, unsere Schule aus dem Licht einer Abfertigungsanstalt zu bringen. Gott sei Dank stand Ennos Selbstmord in keinem Zusammenhang mit seiner preußischen Schulführung.
Ich fing mich und sagte: »Herr Direktor, das war zu viel, was ich in der letzten Zeit verkraften musste. Erst unser Unfall und jetzt mein Schüler Enno Warfenknecht.«
»Sie haben die Zeitung bereits gelesen?«, fragte er erneut, wobei er verlegen irgendwelche Akten von der einen auf die andere Seite seines Schreibtisches legte.
»Nein«, stöhnte ich. »Es war schlimmer, denn ich war dabei, als der Schüler sich vor meinen und den Augen seiner Freundin erschoss.« Ich erhob mich, nahm die Tasche und ging.
Der Korridor kam mir länger vor als sonst. Schwer atmend näherte ich mich meinen Schülern, die sich laut unterhaltend vor der verschlossenen Klassentür versammelt hatten. Mein Blick suchte Enno, obwohl ich wusste, dass er nie mehr kommen würde.
Die Schüler und Schülerinnen nahmen ihre Plätze ein und schauten mich erstaunt an. Sie vermissten meine sonst übliche Begrüßung. Die mir während der letzten Wochen wieder zur Gewohnheit gewordenen witzigen und bissigen Bemerkungen über interne Vorkommnisse blieben aus. Stattdessen mussten sie zusehen, wie ich mit mir rang. Meine Stimme blieb mir fast im Halse stecken.
Ich schritt an den leeren Platz. Die Schulbank, ein Möbel, das hundertfach als Massenprodukt in den vielen Klassenräumen unserer Schule stand, stoppte erneut meinen Ansatz. Ich stierte auf das Schülerpult, sah die eingeritzten Bemerkungen und wies mit der Hand auf die Schulbank.
»Enno wird hier nie mehr sitzen«, sagte ich und mied den Blick auf meine Klasse. »Enno ist tot. Er hat sich gestern vor meinen Augen erschossen.«
Ich war froh darüber, dass ich die Schreckensnachricht los war, und schritt ans Fenster. Mein Blick glitt über den Schulhof und suchte die Stelle auf, an der der kleine Polo gestanden hatte, als Enno und seine Freundin den Schnee von den Wagenfenstern gewischt hatten.
Für Sekunden lag ein eisiges Schweigen im Klassenzimmer. Das aufkommende Gemurmel veranlasste mich, meinen Fensterplatz zu verlassen, und es gelang mir, einen kurzen Bericht über den Hergang zu geben.
Der Schock saß tief. Schüler und Schülerinnen senkten niedergeschlagen ihre Blicke. Einige weinten. An Unterricht war nicht mehr zu denken.
»Ich gehe gleich zum Büro und rufe Ennos Großeltern an. Wir schulden ihnen unser Mitgefühl. Ich bitte Sie, sich von den Plätzen zu erheben, um eine Gedenkminute für unseren Klassenkameraden und Sportler Enno Warfenknecht einzulegen«, forderte ich die Klasse auf.
Still und versunken standen sie neben ihren Bänken und versuchten das abrupte Ableben des Mitschülers in die Alltagswelt einzuordnen.
Ich hob den gesenkten Blick und wünschte Enno einen gnädigen Richter.
Die Schüler suchten verwirrt das Gespräch. Hinni schob bereits eine Liste weiter und sammelte spontan Geld für einen Kranz, als ich meine Klasse 13 c verließ.
Im Schulbüro suchte ich die Telefonnummer heraus und ließ mich mit Ennos Großeltern verbinden. Mir war nicht wohl in meiner Haut. Ich suchte nach angepassten Formulierungen, um den Hinterbliebenen unser
Weitere Kostenlose Bücher