Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
Meine Lehrer hatten mir schon in der Schulzeit unter meine Aufsätze geschrieben: »Zu viel Fantasie.« Dennoch zweifelte ich nicht daran, dass ich Enno wirklich gesehen hatte.
Ich schob die Frühstücksreste zusammen und brachte sie in die Küche. Was ziehe ich an?, fragte ich mich auf dem Weg zum Schlafzimmer. Vor dem offenen Kleiderschrank glitt meine Hand über die auf Bügeln hängenden Kleidungsstücke. Den schwarzen Anzug, ich hatte ihn zur Hochzeit getragen, hielt ich für unpassend. Ich erwischte eine graue Hose und entschied mich für den blauen Trenchcoat, der mein graues Jackett bedecken würde.
Mir blieb noch viel Zeit. Hinni hatte den Bus für Viertel vor eins bestellt. In meiner Wohnung hielt ich es nicht mehr aus. Die bevorstehende Beerdigung stimmte mich traurig. Ich musste unter Menschen.
Im Postfach steckte die Zeitung. Ich nahm sie mit und lenkte meine Schritte in den Bismarckpark. Er war heute am Samstag belebter als sonst. Frauen mit gefüllten Einkaufstaschen kamen vom Markt. Rentner blickten verächtlich auf Jugendliche herab, die lärmend von den Schulen kamen. Auf einer Bank provozierte eine Gruppe Punks mit ihrer hässlichen, alles auf den Arm nehmende Kleidung und Bemalung. Lautstark bekundeten sie ihre Abneigung gegen alles Normale und Bürgerliche, ohne direkten Streit zu suchen. Probleme gab es genug. Auf sie aufmerksam zu machen reichte nicht mehr aus, und lautstarke Politiker versprachen, sie lösen zu können.
Das Café Kahle lag nur wenige Meter vom Treffpunkt entfernt. Ich hatte Zeit, viel Zeit und betrat das Café. Gastarbeiter hatten einige Tische belegt und unterhielten sich in ihrer mir fremden Sprache. Zigaretten rauchend saßen sie vor geleerten Tassen, und ich war froh, mich nicht irgendwo am Bosporus einsam fühlen zu müssen.
Ich trank meinen Kaffee ungestört und fühlte mich wohl, weil die, die da türkisch sprachen, isolierter waren als ich. Durch das Fenster konnte ich auf den ZOB schauen. Mein Interesse an dem, was ich las, war äußerst gering. Als ich schließlich den Bus sah, bezahlte ich und verließ das Café.
Meine Schülerinnen und Schüler hatten ihre Kleidung dem zu erwartenden Ereignis entsprechend gewählt. Ich stellte mich an die Tür des Busses und wartete. Nach und nach stiegen die Letzten ein. Wir waren vollzählig. Während der Bus die Stadt verließ, saßen wir schweigend in den Sesseln. Ein Geisterbus, dachte ich und hockte ebenfalls still, in Gedanken verwoben, in meinem Sitz.
Als sich der Bus schließlich über die Dorfstraße der auf einer Warf gelegenen Kirche näherte, parkten dort bereits einige Personenwagen. Der Fahrer suchte eine Abstellfläche auf einem Feldweg, der seitlich in das weite Grünland führte. Fröstelnd stiegen wir aus. Durch die Schneise wehte eine kalte Bö. Die Mädchen legten ihre Hände auf die Röcke, während ihre Haare im Wind tanzten.
Ich blieb für einen Moment stehen, schaute über die Warf, auf die hoch erhoben der breite, eckige Kirchturm mit Spitzdach und verblassten roten Klinkern in den grauen Himmel ragte. Er stand schief auf seinem abgesackten Fundament, seitlich verbunden mit dem Kirchengebäude, dessen ovale Fensterbögen Risse zeigten. Die von Stahlsprossen gehaltenen blinden Scheiben wirkten unfreundlich und wie Gefängnisfenster. Vom Dach der Kirche lugten vergessene Spitzfenster hervor, und grünes Moos bildete zwischen den Ritzen einen Kontrast zum einstmals schwarzen Schieferdach. Rund um Kirche und Warf zog sich eine hohe Mauer, von deren Putzkanten Stürme und gepeitschter Regen im Laufe der vielen Jahre Stücke herausgefressen hatten.
Meine Schüler standen frierend mit blassen Gesichtern vor der Mauer und warteten auf meine Führung. Wir lagen gut in der Zeit, und ich zögerte noch und atmete die frische Seeluft ein, die der aufgebriste Wind von Harlesiel über das Festland trieb.
Im Grün der Warf steckten Kreuze mit verrosteten Rändern. In Stein gehauene Erinnerungen zeigten Spuren des Kampfes mit den Stürmen, die mehrmals im Jahr in Orkanstärken über die Gräber brausten. Dazwischen wucherten zerzauste Lebensbäume. Bodenpflanzen gruben ihre Wurzeln in den torfigen Boden.
So als wartete ich auf ihr Rufen, betrachtete ich die bauchigen Glocken, die am alten Balken im Turm auf halber Höhe offen hingen. Über den ansteigenden Treppenweg schleppten sich zwei alte Frauen in verblassten Tüchern, als bestünde das Leben nur aus Bittgängen an Orte wie diesen. Ein düsteres und dennoch
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