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Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman

Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman

Titel: Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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schönes Motiv für einen Maler, der es verstand, mit Pinsel und Farbe »Menschsein« zu gestalten, Ewigkeiten zu überbrücken und Leid und Hoffnung des Erdendaseins festzuhalten, für immer. Grau war der Himmel, grau waren die Gestalten, grau wirkten auch die Gesichter meiner Schüler. Einige von ihnen hatten noch nichts gegessen.
    Ich sagte: »Gehen wir.«
    In genau diesem Augenblick setzten sich die schweren Glocken in Bewegung. Alle Geräusche übertönend drangen die dumpfen, dann die helleren Schläge zu uns. Die schweren Klöppel sahen aus der Ferne aus wie riesige Geschlechtsteile. Immer dann, wenn die eine Glocke links hochstieg, fiel die andere rechts ab.
    Im Turmeingang lagen gestapelt die Gebetsbücher griffbereit aus zum kostenlosen Gebrauch, für das Gespräch mit Gott, Vater oder Sohn oder der Muttergottes. Das Gestühl der Kirche trug einen nüchternen grauen Anstrich. Die weißen Wände wirkten kahl und gelegentlich unterbrachen einige elektrische Leuchter die triste Langeweile.
    Ich schritt den Schülern voraus. Seitlich waren die Bänke leer. Erst in der Nähe der Kanzel, die mit wuchtigem Schnitzwerk jedem, der auf ihr stand, Würde und Ehrfurcht verleihen konnte, saßen alte Leute in dunkler Kleidung, gebeugt, vertieft, ohne darauf zu achten, was um sie vorging.
    Ich ließ etliche Bankreihen frei und füllte mit meiner Klasse eine große Lücke. Erst jetzt sah ich den Sarg, in dem Enno lag. Er war umgeben von Blumen und Kränzen. Ein Kirchendiener zündete Kerzen an. Von draußen drang immer noch das Geläute zu uns.
    Ich blickte mich um und erkannte die Betroffenheit in den jungen Gesichtern. Für die meisten war es die erste Berührung mit dem Tod, der jeden von uns ständig umlauert. Ich starrte auf den Sarg, und die vielen brennenden Kerzen zerflossen vor meinen Augen zu einem gewaltigen Licht, und ich sah Anja, mein totes Töchterchen, und Erika. Mir stiegen die Tränen in die Augen. In diesem erhabenen Augenblick wäre ich Gottvater, Sohn und Muttergottes dankbar gewesen, wenn sie mich herausgerissen hätten aus meiner irdischen Existenz und mir den Weg in den Frieden zu meiner Familie gewiesen hätten.
    Erst das Einsetzen der Orgel ließ mich zurückfinden. Vor meinen Augen gewann der Sarg Konturen, verflüchtigte sich das strahlende Licht, und es blieben die flackernden Kerzen vor Ennos Sarg.
    Von einem versteckten Seiteneingang musste der Pfarrer Zutritt gefunden haben. Plötzlich sah ich ihn, als er wie ein Hüne Kränze und einen Teil der Kerzen vor meinen Augen verbarg. Er hielt seinen grauen Kopf gebeugt, während die gefalteten Arme auf seiner Brust lagen und seine Hände platt seine breiten Schultern bedeckten.
    Ich verstehe wenig von Musik, aber die Töne aus den Orgelpfeifen, die der Organist dumpf anschwellen ließ, danach plötzlich wegnahm, um zauberhaften, anwachsenden, hellen Klängen den Vortritt zu lassen, die weich, jubilierend, als triebe sie ein Verstärker an, beherrschend wurden, konnte ich in Geburt, Leben, Tod und Erlösung umsetzen.
    Während ich mit meiner Wehmut kämpfte, lenkte mich die einsetzende Unruhe meiner Schüler ab. Ich drehte mich um. Durch das Kirchenschiff näherte sich uns eine herzergreifende Prozession. Zwei kleine Mädchen, ihre für diese Region so typischen blonden Haare zu Zöpfen geflochten, trugen bis zu den Füßen reichende weiße Kleidchen. In ihren kleinen Händen hielten sie schlanke, brennende Kerzen. Wie zwei herbeigezauberte Engel führten sie den Trauerzug an. Junge Sportler in Trainingsanzügen mit Trauerflor folgten mit niedergeschlagenen Blicken. Ein paar stämmige Männer in schwarzen Gehröcken trugen weiße Handschuhe. Ich vermutete, dass sie zu denen gehörten, die ich gestern im Winkelzimmer des Dorfkruges gesehen hatte.
    Der alte Mann mit lichtem Haar und weißem Schnurrbart, der würdevoll seine in sich gesunkene Frau im Arm hielt, musste der Großvater sein, und mit verheulten Augen folgte eine junge Frau, deren Bauch sich dick durch Tüll und Seide presste. Ich fand in ihrem Gesicht keine Ähnlichkeit mit Enno, und der kleine Mann, der sie stützte, trug unpassend einen hell karierten Anzug. Es folgten alte Leute in Schwarz.
    Der Pfarrer wartete, bis sich die Trauergesellschaft in unmittelbarer Nähe vor Ennos Sarg auflöste und sich auf die Bänke verteilte. Er richtete sich auf und schritt über die kleine gewundene Treppe zum Predigstuhl empor. Nur gelegentliches Hüsteln durchbrach die Stille.
    Mein Blick entdeckte

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