Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
ohne Sarg und Erde, ohne Pastor, ohne Trauergemeinde, ohne Kränze und Blumen, ohne Kerzen und Orgelmusik, dachte ich und freute mich, als ich an der Dorfstraße in Accum eine Kinderschar sah, die mit frischen Gesichtern auf den Schulbus wartete.
Das Verkehrsaufkommen nahm zu. An der Ampel vor der Stadt stand ich für drei Rotphasen und beruhigte meine aufgewühlten Nerven, indem ich den friedlichen Hauch spürte, der über der Steinallee lag, die zum Schloss führte. Die Menschen schritten daher und hasteten nicht. Sie waren nicht grau, sondern wirkten auf mich plastisch und farbig.
Auch Elke hatte sich aus ihrer hängenden Sitzhaltung gelöst und schaute in die Stadt. »Jever ist hübsch«, sagte sie.
Es wurde allmählich heller, ohne dass der Himmel sein Grau von sich stieß. Um Wittmund führte uns die Umgehungsstraße an den Kasernen vorbei. Danach verlief die Straße ohne Windungen immer nur geradeaus. Der Flugplatz der Bundeswehr lag seitlich. Meine Blicke hasteten durch die Büsche und erhaschten für Sekunden die Umrisse der Kampfflugzeuge, die wie riesige Vögel in Duckstellungen vor den bewachsenen Bunkern standen. Ich dachte dabei an die jungen Männer, die mit Fackeln im Rhythmus ihres »eins, zwei – eins, zwei ...« Ennos Grab verlassen hatten und zum Dorfkrug marschiert waren.
Am Landschaftsbild änderte sich nichts, nur die Ortsschilder wechselten. Auf den Weiden grasten Kühe. Die Höfe bekamen ein wenig Farbe. In Aurich bog ich von der Kreisstraße ab, und wir näherten uns der Region, die Urlauber begeistert als »wunderbare Landschaft«, »herrliche Gegend« oder sogar als »Naturparadies« empfanden. Moore, Weiden und Waldstücke, verträumte Dörflichkeit, Feriendörfer in Sprungnähe zu den Küstenbadeorten, durchfuhr ich im forschen Tempo.
In Hage erinnerten mich die windschiefen Bäume, deren Kronen zusammengewachsen waren und erstes zartes Frühlingsgrün andeuteten, an ein von der Natur erstelltes Kirchenschiff mit riesigen Ausmaßen. Die hohe Windmühle signalisierte uns mit ihren weit gespannten Flügeln eine unausgesprochene Begrüßung. Der schiefe, wuchtige Klinkerkirchturm lugte standfest über die bürgerlichen Wohnhäuser.
Elke schaute begeistert durch die Scheiben und kuschelte sich behaglich in den Sitz. Schloss Lütetsburg lag vor uns, als hätten Kinderhände es aus Legosteinen erbaut, hinter einer alten, vergessenen Holzbrücke, die sich über einen grünbraunen Wassergraben spannte.
Die breite Einkaufsstraße von Norden wirkte auf uns idyllisch, und die Vielzahl der Schaufenster reizte Elke, als sie sagte: »Es muss Spaß machen, hier einzukaufen und zu bummeln.«
Die Straße wurde breiter. Bis Norddeich waren es nur noch wenige Kilometer. Ich sah das Hinweisschild »Fischereihafen« und bog ab. Langsam fuhr ich an der Hinterpartie des »Nordseehotels« vorbei.
»Elke, hier wollten wir Seezungen essen«, sagte ich.
Die Straße führte durch einen Tunnel, stieg dann leicht an und brachte uns auf den Deich. Der Ausblick war großartig. Die Fischkutter lagen vertäut an der Mole. Zu zweit, zu dritt, vereint wie Geschwister, rieben sie ihre Rümpfe aneinander. Ihre Masten ragten in das matte Grau des Himmels.
Ich hatte den Golf angehalten.
Elke sagte: »Ich liebe diese Fischerromantik.« Doch dann schwieg sie. Auch ich sah das schwarze Fahrzeug und erkannte den auf matten Lack aufgetragenen goldenen Palmenwedel.
»Die Bestattungsfirma«, sagte ich, und mir war es, als zöge sich mein Hals zusammen. Ich ließ den Golf die Asphaltstraße hinabrollen, fuhr im Schritttempo an den bunten Fischkuttern vorbei und parkte neben dem Leichenwagen.
Der Fahrer stieg aus. Er trug den der Situation angepassten schwarzen Anzug.
Elke stand fröstelnd neben mir und schluchzte leicht, als der Bestatter mir seinen mit schwarzen Balken versehenen Block nebst Kugelschreiber hinhielt. Ich dachte: Wie in einem Krämerladen, und unterschrieb. Der Fahrer öffnete die Tür seines Gefährts, holte die runde Steinurne heraus und hielt sie mir mit demutsvollem Blick entgegen. Ich nahm das Steingefäß an. Es lag kalt in meinen Händen, und wehmutsvoll dachte ich an den großen Mann, der mein bester Freund gewesen war und dessen Asche in dieser kleinen Urne alles war, was von ihm übrig geblieben war.
»Gregor? Hat irgendwer dieser ›Eins-Zwei-Bande‹ dein friedliches Leben verkürzt?«, fragte ich, ohne dass ein Wort über meine Lippen wehte. Ich vernahm keine Antwort.
In das Geräusch des
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