Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
sich entfernenden Leichenwagens drang die Stimme des Kapitäns.
»Sie können den Lauf der Dinge nicht ändern, Mann.«
Ich blickte auf. Er stand auf einem Kutter, der an der Molenwand lag. Seine Prinz-Heinrich-Mütze hielt er zum Zeichen der Trauer in der Hand. Sein Gesicht umrahmte ein gewaltiger struppiger, grau durchsetzter Bart, und es schien, als wäre sein krauses Kopfhaar mit ihm verwachsen. Blaue Augen beherrschten das zerfurchte Gesicht.
Auf Anhieb hatte ich Vertrauen zu dem Mann, der mich listig betrachtete.
»Kommen Sie«, sagte er und reichte Elke die Hand zum Abstieg auf den Kutter, der wegen der Tide unterhalb der Mole lag.
Ich trug die Urne wie eine Reliquie und setzte mich auf die Kaimauer, um mit meinen Füßen auf dem Fischkutter zu landen. Der Salzgehalt der Luft, in den sich Fischgestank mischte, stieg zu mir hoch. Vor mir turnte der Kapitän, der seine Mütze aufgesetzt hatte, über zwei andere Kutter und hielt Elke an der Hand. Erst jetzt bemerkte ich, dass der Kapitän hochgewachsen war. Er trug einen schwarzen Troyer und weite, dunkle Schlaghosen.
Das dritte Schiff war die »Rara Avis«, und während ich schwitzend die Bordkanten überstieg, die Urne wie ein schutzbedürftiges Baby an mich gepresst, und den beiden folgte, fiel mir ein, dass »Rara Avis« aus dem Lateinischen stammte und auf Deutsch »Seltener Vogel« hieß.
Elke war bereits im Steuerhaus verschwunden, als mir der Kapitän höflich die Tür aufhielt. Sie saß auf einem verschraubten Hocker hinter einem Tisch, auf dem unaufgeräumtes Geschirr herumstand.
»Das ist nicht unbedingt romantisch«, sagte ich und ließ mich auf den freien Hocker nieder. Hinter uns befand sich eine Kochplatte mit dem Geschirr einer Schnellküche. Vor uns waren das Steuerrad und die Armaturen mit dem Radargerät.
Ich beobachtete durch die Scheiben des Steuerhauses, wie der Kapitän die Taue der »Rara Avis« vom Nachbarschiff löste. Gelassen betrat er das Steuerhaus, ließ den Motor an und der Kutter tuckerte der Fahrrinne entgegen.
Ich stellte die Urne zu dem ungewaschenen Geschirr und hielt Elkes Hand. Hat Gregor gewusst, wie entsetzlich makaber sich seine Beisetzung vollziehen würde?, fragte ich mich und starrte durch die Scheiben auf den grauen Himmel und das graue Wasser. Am Horizont war nicht auszumachen, wo der Himmel endete und das Meer anfing. Erst nach einer Kursänderung machte ich die Umrisse der Insel Norderney aus. Das gleichmäßige Tuckern des Dieselmotors wirkte einschläfernd. Die Insel nahm Konturen an. Ich erkannte die dem Wattenmeer zugeneigte Seite und sah einen weißen Fleck. Es war das Fährschiff.
Das Wasser lag ohne jede Kräuselung vor uns. An Gregors Beisetzung schien selbst der Wind kein Interesse zu zeigen. Die lange Sandbank von Juist tauchte seitlich auf. Der Kapitän wandte sich uns zu und reichte mir die Kopie einer Seekarte.
»Wo das Kreuz steht, soll er ewig ruhen«, sagte er, zog die Mütze und steuerte wortlos seine »Rara Avis« westlich an Norderney vorbei. Die Hochhäuser schälten sich aus dem Grau. Der lange Sandstreifen färbte sich allmählich gelblich ein. Auch von Juist blinkten die Dünen weißlich zu uns herüber.
Ich blickte lange auf die Seekarte. Aufgetragene Kreise und Zahlen erinnerten mich an eine Wetterkarte, und das Kreuz saß für mich irgendwo im unbekannten Seegelände.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ein paar flügelschlagende Möwen zu Gregors Beisetzung erschienen waren.
»Wie weit ist es noch?«, fragte ich den Kapitän.
Ohne uns sein Gesicht zuzuwenden sagte er: »Eine Stunde!« Er bediente das Steuer, und die »Rara Avis« entfernte sich von Norderney. »Wenn Sie sich einen Tee zubereiten wollen, bedienen Sie sich!«, sagte er.
Elke sah mich an. Sie war dankbar für diese Abwechslung. Sie trat an die Spüle, ließ Wasser laufen und räumte das Geschirr ab.
Ich blickte auf die Urne, die jetzt allein auf dem Tisch wie eine Herausforderung vor mir stand. So sehr ich auch an Gregor dachte, mir kam kein helfender Gedanke. Ich fühlte mich abgestumpft und blickte dösend durch die große Scheibe, vor der der Kapitän wie ein Riese mit seinen Pranken das Steuer bediente. Mir wäre es lieber gewesen, die See hätte gekocht, ein Sturm hätte geheult und die »Rara Avis« hätte gegen hochgehende Wassermassen gekämpft.
Elke klapperte mit Geschirr. Sie setzte den Wasserkessel auf, als gehörte er zu uns, als wären der Kapitän und wir ein Team, das endlos so weiterfahren
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