Böses Spiel in Friesland - Kriminalroman
müsse, ohne Sinn.
Ich sah, wie auf der einen Seite die Insel Norderney immer mehr in das Grau eintauchte und auf der anderen Seite die Insel Juist sich entfernte. Der Kapitän stand ohne Bewegung wie eine Säule vor der Scheibe, und auch das Tuckern des Motors verlor nicht den monotonen Klang. Ich wagte keinen Blick auf meine Uhr. Meine Hand berührte die Urne, die den Staub meines Freundes enthielt.
Der Wasserkessel zischte im Hintergrund der Kombüse. Ein weit entfernter Tanker zog seine Bahn. Elke fand sich zurecht, als wäre sie auf der »Rara Avis« zu Hause. Sie klapperte mit dem Geschirr. Schließlich rückte sie den Sahnetopf, Kluntjebecher und das Stövchen, in dem das Teelicht flackerte, vor Gregors Urne. Während sie die Tassen spülte, ließ sie den Tee im Kännchen auf dem Stövchen ziehen.
Gregor, dachte ich, nun brennt doch noch ein Licht vor deiner Asche. Ich beobachtete, wie die kleine Flamme flackerte, und wusste, dass es von meinem Atem kommen musste.
Elke ließ den goldbraunen Tee über die Kluntjestücke fließen. Ich vernahm das zarte Klirren, als sie zersprangen.
»Danke«, sagte er Kapitän, als er von Elke die Tasse in Empfang nahm. Ich sah, wie er eine Zigarette aus der Packung fischte, und er warf mir unaufgefordert die Zigaretten zu, als hätte er meine Gedanken erraten. Ich steckte mir auch eine an. Der heiße Tee möbelte mich auf. Auch der Kapitän nahm eine zweite Tasse.
Elke hatte sich nur seitlich an den Hocker angelehnt. Wir warteten, ohne die Zeit zu messen, blickten durch die Scheiben auf das graue Meer, ohne es noch wahrzunehmen, und hielten uns an den Händen.
Endlich, dachte ich, als der Kapitän ohne Vorankündigung den Motor der »Rara Avis« drosselte. Er verließ den Platz vor dem Steuer und trat an unseren Tisch. Sein großer Zeigefinger suchte das Kreuz auf der Seekarte.
»Wir haben die Position erreicht«, sagte er, zog seine Mütze und setzte sie wieder auf. »Walten Sie Ihres Amtes.«
Fast widerwillig griff ich nach der Urne. Der Kapitän schritt uns voraus. Elke folgte mir. Er nahm die Richtung zum Bug des Schiffes, zog wieder seine Mütze und wies mir den Platz an der Bugseite zu.
Ich zögerte und schaute mich um. Elke stand mit blassem Gesicht seitlich. Der Himmel war grau, das Meer war grau, mein Blick verlor sich im Grau. Ich neigte meinen Oberkörper über die harte Stahlkante und ließ die Urne einfach los. Das Wasser spritzte leicht auf, zog kleine strudelnde Wellen, dann verschwand das Steingefäß mit ein paar Blasen im trüben Meer.
Gregor, dachte ich, das war’s!
Ein paar Möwenschreie durchbrachen die Stille.
8
Die Zeit heilt alle Wunden, sagt der Volksmund. Dieser Weisheit kann ich nur bedingt zustimmen. Meine kleine Anja und auch Erika behalten ihren Platz in meinem Inneren. Dennoch stand ich kurz vor einem Neuanfang. Elke fühlte wie ich, und Enno stand zwischen uns.
Meine häufigen Besuche auf dem Fehntjer-Hof blieben nicht ohne spürbare Folgen auf das Verhältnis zu Elkes Eltern. Nach und nach legten sie die offen zur Schau getragene Feindschaft ab und begannen mich einfach zu akzeptieren. Sie sahen in mir kein Hindernis mehr für die Zukunft ihrer Tochter, sondern im Gegenteil, meine Position und meine hilfreichen Mathematikberatungen waren Elke in jeder Weise nützlich.
Mein Verhältnis zu meinen Kollegen hatte ich aufgefrischt. Ich war kein Trauerkloß und suchte öfter als vorher mit ihnen den Gedankenaustausch. Pfarrer van Aaken und Frau zählten jetzt konstant zu unserem engsten Bekanntenkreis, und Elke begann in der Freizeit der Lehrerin bei ihrer unbezahlten Sozialarbeit zu assistieren.
Von der Staatsanwaltschaft hatte ich nichts gehört. Van Aaken und auch ich begannen die verflossenen Ereignisse herabzuspielen. Gelegentlich, wenn sich Elke und Frau van Aaken in der Küche um ein besonderes Abendessen bemühten, begleitete ich Hartwig in den Dorfkrug, und mein Gang durch das voll besetzte Winkelzimmer verlief ohne feindliche Seitenblicke. Ich konnte Hartwig am Tresen vor den nostalgischen Porträts der Wirtsfamilie und vor den Fotos der gefallenen Jungen von Upplewarf zuflüstern: »Deine Gemeinde ist doch friedlich!«
»Ein schlummernder Vulkan«, grinste er.
Die freien Tage der Osterferien waren vorbei, genauer ausgedrückt, uns wie Sand durch die Finger geglitten. Ein Besuch des Stadttheaters, ein Ausflug nach Hamburg, ein Nachmittag im Bremerhavener Schifffahrtsmuseum, Cafébesuche, Deichspaziergänge und die vielen
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