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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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Mädchen mit einem rosigen Puppengesicht und Perlensteckern in den Ohren blieb neben mir stehen. Sie zog an meinem Pulli und befühlte das Material. Ich trug an dem Tag meinen Fleecepulli mit halsfreiem Ausschnitt, dunkelrot. Kuschelig weich und mollig warm. Den hatte ich bei Kälte am liebsten.
    »Was ist das denn für eine Marke?«, fragte sie.
    »Keine Ahnung«, sagte ich.
    »Wo kann man so was kaufen?« Die Frage klang ganz harmlos, ich dachte, sie interessiert sich wirklich dafür.

    »In Kiel. Bei C&A«, antwortete ich. (Wir waren vor Weihnachten extra zu einem Super-Shopping-Tag nach Kiel gefahren, um für mich neue Wintersachen zu kaufen.) Das Mädchen lächelte fein. »O Gott«, seufzte sie, »C&A. Wie peinlich.« Und sie legte in diese vier Worte alle Verachtung, die ihr zur Verfügung stand.
    Sie warf den Kopf zurück (sie hatte glatte, mittelblonde Haare) und stolzierte davon. Ich starrte ihr fassungslos nach. Ich glaube, ich zitterte, weil ich mich so ärgerte. Ich schämte mich nicht. Nein, ganz bestimmt nicht. Ich war nur wütend.
    Sie trug einen Minirock im Schottenmuster, dazu einen Pulli mit Ausschnitt über einer weißen Bluse, um den Hals ein Seidentuch, das auf irgendeine besondere Art geknotet war. Ein Zipfel des Seidentuchs lugte hinten unter ihren Haaren hervor. (Diese Seidentücher waren ihr Markenzeichen, sollte ich bald darauf wissen; sie hatte eine ganze Sammlung davon, jedes einzelne in Seidenpapier verpackt in einem Karton, auf dem HERMES stand. Bald wusste ich auch, dass HERMES ungefähr der teuerste Laden auf der ganzen Welt ist.)
    Das Mädchen hieß Felicitas von Behrenberg. Alle Schülerinnen aus meiner Klasse rissen sich darum, mit ihr befreundet zu sein. An den Wochenenden wurde sie immer von einem Chauffeur in einem fetten Mercedes abgeholt. Manchmal nahm sie eine Freundin aus dem Internat mit nach Hause. Sie wohnt in einer schneeweißen Villa in Hamburg, direkt an der Elbe. Die dicken Kreuzfahrtschiffe fahren direkt an ihrem Garten vorbei …
    Obwohl ich das alles an diesem ersten Schultag noch nicht wusste, war mir klar, dass ich nie ihre Freundin werden
würde. Uns trennten Welten. Sie hatte echte Perlen in den Ohren und ich trug einen Pulli von C&A.

    Zu meinem Stipendium gehörte auch die Möglichkeit, am gemeinsamen Mittagessen teilzunehmen.
    Darüber hatte meine Mutter sich besonders gefreut, weil sie sich unentwegt Sorgen machte, dass ich mich nicht richtig ernährte, wenn sie den ganzen Tag im Supermarkt war.
    Damit hatte sie nicht ganz Unrecht. Ich aß, ohne nachzudenken. Mal waren es drei Joghurts auf einmal, dann nur Obst, und um mich zu belohnen, gab es am nächsten Tag ein Baguette mit Hackfleisch aus der Mikrowelle. Oder ich futterte statt eines Mittagessens eine ganze Tafel Schokolade. Vollmilch. Mit Nüssen. Ja, ja, ich weiß.
    Als ich zum Erlenhof kam, wog ich etwas mehr als fünfzig Kilo. Ich fand mich nicht gerade schlank, aber auch nicht zu dick. Ich war, wie gesagt, insgesamt mit mir und meinem Aussehen ziemlich zufrieden. Nahm es aber auch nicht so wichtig.
    Das änderte sich nun schlagartig. Hier auf dem Erlenhof-Gymnasium war alles dies von Bedeutung: Wie viel man wog, wie viel Zentimeter Taillenumfang man hatte, wie lang die Beine waren, vom Knie bis zur Fessel oder vom Schritt bis zum Knie, wie dünn die Handgelenke waren und welche Form die Ohrläppchen hatten. Vieles hing davon ab …

    Das Mittagessen wurde im Ostsaal eingenommen, einem weiten Raum mit hohen Fenstern. Der Fußboden war aus Parkett, deshalb durfte man ihn nicht in Straßenschuhen betreten. Die Schüler verstauten ihre Schuhe in den riesigen Regalen am Eingang und betraten den Saal auf Strümpfen.
Das hätte den Vorteil gehabt, hier sehr viel leiser zu sein als auf den Fluren oder in den Klassen - wenn sich nicht Hunderte von Schülern gleichzeitig zum Essen eingefunden hätten.
    Die große Doppeltür war noch geschlossen an diesem meinem ersten Schultag, als unsere Klasse zum Mittagessen erschien. Deshalb verschwanden die Mädchen erst einmal in den Toiletten- beziehungsweise Waschräumen. Weil ich nichts anderes zu tun hatte, ging ich mit.
    Alle stürzten sofort an die Spiegel und zauberten aus ihren Rock- und Hosentaschen Lippenstifte, Puderdosen und Wimperntusche.
    Ich stand etwas verloren herum und schaute zu, wie sich meine Mitschülerinnen für das Mittagessen herausputzten, als gingen sie in die Disco. Wie sie ihre Haare vor- und zurückwarfen und mit der Bürste traktierten,

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