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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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hat mich verblüfft angestarrt. »Wieso bedankst du dich für so was?«
    »Ich fand es einfach nur nett von dir«, sagte ich.
    »Was war denn daran nett?«
    Die Frage brachte mich völlig aus dem Konzept. »Na ja«, erwiderte ich stockend, »weiß auch nicht genau. Ich hab mich einfach sehr gefreut darüber. Das wollte ich dir nur sagen.«
    Plötzlich, ich konnte es nicht verhindern, stiegen mir die Tränen in die Augen, das wollte ich aber keinesfalls. Ich sagte schnell: »Mann, hier ist vielleicht ein Staub in der Luft«, und wischte mir die Augen.
    Da, aus heiterem Himmel, umarmte Marcia mich. Das traf mich völlig unvorbereitet.
    »Gar nicht leicht bei uns, was?«, murmelte sie mitfühlend. »Du hältst uns für Monster, oder?«
    Ich nickte und schüttelte danach schnell den Kopf. Sie sollte nicht denken, dass ich die Mitschüler tatsächlich für Monster hielt.
    »Ich war vorher in einem anderen Internat«, sagte Marcia. »In der Eifel. Aber da war es genauso. Da wurden auch immer die Externen gemobbt. Und weißt du, warum?«
    Ich schnäuzte mich. Ich schüttelte den Kopf.
    »Weil die Internen alle total frustriert sind. Deshalb.«
    Frustriert? Meinte sie das ernst?
    »Schau sie dir doch an. Alle wie sie da sind, ich nehm mich da gar nicht aus. Aus was für kaputten Familien wir kommen.
    Scheidungskinder werden ins Internat entsorgt. Das ist es. Das ist das Problem, hier weiß jeder, wie oft der andere von
seinen Eltern Besuch bekommt oder Post, wie oft er Päckchen kriegt, und was in den Päckchen drin ist. Hier kann niemand lange vor den anderen ein Geheimnis bewahren. Hier weiß jeder in kürzester Zeit alles über den anderen. Und trotzdem muss man sich irgendwie behaupten. Muss etwas haben, um das andere einen beneiden. Man kann ja nicht weglaufen. Wohin denn? Nach Hause geht nicht. Man muss seinen Platz hier finden. Das ist das Problem. Wir leben alle wie bei Big Brother. Nur dass es viel schlimmer ist. Weil es länger dauert.«
    Es war das erste und einzige Mal, dass jemand aus meiner Klasse so offen über die Probleme im Internat gesprochen hat. Ich hätte gerne mit Marcia noch weitergeredet, ich hätte gerne gehört, was ihre persönlichen Probleme waren, ich malte mir bereits aus, dass wir Freundinnen werden würden und sie zu mir nach Hause käme, wenn sie es im Internat nicht mehr aushielt, dass wir sozusagen ihre Ersatzfamilie werden könnten. Es war ein schöner Moment.
    Aber dieser Moment, als wir miteinander sprachen - er ereignete sich in einer kleinen Pause zwischen zwei Unterrichtsstunden, und Pausen haben es an sich, dass sie besonders kurz erscheinen, wenn man sich gerade etwas Wichtiges zu sagen hat.
    Als es plötzlich klingelte, fügte Marcia nur noch hinzu: »Na ja. Und dann sind wir eben neidisch. Weil du einfach gut bist.«
    »Dafür kann ich doch nichts«, rief ich.
    Marcia zuckte gleichmütig mit den Schultern. »Mich persönlich kratzt es im Grunde nicht, wenn du hier die Beste und Liebling der Lehrer wirst! Ich brauch kein gutes Zeugnis,
ich erb sowieso alle Immobilien meiner Großeltern, wenn ich einundzwanzig bin.«

    Okay. Ich hatte jetzt also die Wahl, im Unterricht abzurutschen und dafür ein bisschen mehr von den Mitschülern akzeptiert zu werden. Oder so weiterzumachen wie bisher.
    Doch eigentlich hatte ich keine Wahl. Ich hab immer gerne gelernt und wollte das nicht aufgeben - und hätte es eben auch gar nicht gekonnt. So was hat man wohl in den Genen. Wie schon einmal gesagt: Ich war eine eifrige Besucherin der öffentlichen Bibliothek gewesen, damals in der Ukraine. Und wenn manche sich dort bunte Kinderbücher aussuchten, hab ich mir andere Titel aus dem Regal gezogen. Ich hab Bücher für Erwachsene gelesen, was mir in die Finger kam.
    Viel Sachliteratur. Sogar Gedichte. Und Dramen. Fand ich spannend. All das half mir jetzt. Aber natürlich gab es eine Fülle von Stoffen, die ich mir noch erarbeiten musste. Und da wäre mir hier und da ein wenig Hilfe schon sehr willkommen gewesen.
    Die Lehrer vom Erlenhof forderten meine Mitschüler immer wieder auf, mir zu helfen, wenn ich mit irgendeinem Stoff nicht zurechtkam, weil er vollkommen fremd für mich war, aber ich habe nie auch nur die kleinste Unterstützung von ihnen bekommen. Zu tief saß der Neid.
    Und natürlich erhielt ich auch keine Freundschaftsangebote, ehrliche Angebote, nicht solche wie das von Felicitas seinerzeit...
    Niemals kam jemand aus der Klasse auf mich zu, um mich für den Nachmittag einzuladen. Nicht

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