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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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ein einziges Mal eine Verabredung zum Eis oder etwas Ähnliches.

    Ich versuchte, die Kränkung, die man mir antat, zu verbergen. Auch weil ich nicht abschätzen konnte, was wäre, wenn ich es zeigte. Wenn Tilly oder Simon oder Nadine oder Felicitas gewusst hätten, wie dankbar ich ihnen für eine einzige Geste der Freundschaft gewesen wäre - was hätten sie wohl gemacht? Wären sie netter zu mir gewesen? Oder noch gemeiner? Nur Marcia blieb manchmal stehen, wenn wir uns im Flur begegneten, und tauschte ein paar Sätze mit mir. Aber nie wieder kam solch ein Gespräch wie jenes nach meinem Afrika-Referat zustande. Sie blockte das stets schon im Ansatz ab.

    Es waren immer nur Ravis Freunde und seine Volleyball-Clique, die sich um mich bemühten. Die mir ihre Hilfe anboten und an die ich mich wenden konnte, wenn ich mit irgendeiner Frage nicht zurechtkam. Aber dennoch habe ich keinem von ihnen je erzählt, wie elend ich mich fühlte. Ich hatte zu ihnen nur oberflächlichen Kontakt, der nicht über Schülerklatsch und Lehrerprobleme hinausging. Mit Ravi selbst jedoch wurde es mit der Zeit immer besser. Mit ihm konnte ich gut reden, er interessierte sich für viele Dinge, auch er war eine Leseratte gewesen als Kind... Ich hätte damals schon sehr gerne auch mehr vom privaten Ravi gewusst, von seiner Kindheit in Indien. Aber ich war zu gehemmt. Ich hatte Angst, ihm zu sehr auf die Pelle zu rücken. Ich wollte ihn nicht nerven, ich war so dankbar, dass er mich in seinen Kreis aufgenommen hatte.
    Er war unheimlich attraktiv. Er trug tolle Klamotten, er hatte Humor, er war feinfühlig. Er überstrahlte alle, jedenfalls sah ich das so. Ich musste froh sein, dass ich mich in seinem Schatten aufhalten durfte. Obwohl wir nie darüber
sprachen, haben wir aber sehr bald auch eine Art Seelengemeinschaft gespürt. Wir waren die einzigen »Fremden« an dieser Schule. Das gab unserer Freundschaft einen besonderen Kick. In gewisser Weise grenzte es die anderen auch aus. Und ich denke heute, das hat sie noch mehr gereizt, mich zu quälen.

APRIL
    Der letzte Tag im März, der 31., sollte symptomatisch werden für den Monat April, der mich erwartete. An diesem 31. hatte Marcia Geburtstag, ein Samstag. Sie plante für das Wochenende eine Fete. Sie wollte ganz groß feiern. Ihren Fünfzehnten. Die ganze Zeit wurde über nichts anderes mehr geredet.
    Es war Ende März noch einmal richtig eisig kalt geworden. Die Kälte hatte uns im Zangengriff. Meine Mutter stöhnte über die Heizkosten. Auch in Weißrussland war der Winter zurückgekehrt. Wegen eines Schneesturms in der Region von Minsk konnte Papa dort tagelang seinen Laster nicht beladen und saß fest. Mamas Auto sprang morgens nicht an, und sie musste die Nachbarn bitten, mit einem Überbrückungskabel die Batterie wieder aufzuladen. Unser Dorfteich fror noch einmal zu. Die Eisschicht wuchs von Tag zu Tag.
    Ich verbrachte die Zeit damit, mir ein Geschenk für Marcia auszudenken. Ich wollte ihr irgendetwas ganz Besonderes schenken. Es durfte aber nicht teuer sein. Ich wollte meine Mutter nicht um Geld bitten. Sie war in den letzten Tagen sehr deprimiert gewesen, es gab Probleme im Supermarkt. Offenbar sollte Personal abgebaut werden, und es war klar, dass es Mitarbeiter treffen würde, die noch nicht so lange für die Firma gearbeitet hatten. Die Fleisch- und Aufschnitttheke lief sowieso nicht mehr gut, seit nebenan der
Schlachter Wolgast ein schickes Feinkostgeschäft mit Mittagstisch eröffnet hatte. »Da würde ich auch lieber einkaufen«, sagte Mama. Sie hatte versucht, mit ihrem Chef über Veränderungen zu reden, das Sortiment zu erweitern, wegen der harten Konkurrenz, aber das hatte die Fronten zwischen den beiden nur noch verhärtet. »Ich will keine Mehrkosten«, hatte er gebrüllt, »sondern Kosten reduzieren.« Da war Mama eigentlich schon klar, dass er sie rausschmeißen würde.
    Ich weiß nicht, ob meine Mutter sich in der Zeit nicht manchmal fragte, ob es richtig gewesen war, damals den Ausreiseantrag nach Deutschland zu stellen. Sie hatte sich so viel von dem Wechsel erhofft, als »Deutschstämmige« hatte sie Deutschland immer als ihre wahre Heimat betrachtet, als eine Art Paradies, in dem das Leben einfacher sein würde.
    Das Einzige, was einfacher geworden war und besser, waren die äußeren Lebensumstände. Wir hatten eine geräumige Wohnung mit Zentralheizung (allerdings eine Sozialwohnung), gut eingerichtet, wir besaßen ein Auto (nicht gerade neu der Peugeot, aber

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