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Boeses Spiel

Titel: Boeses Spiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brigitte Blobel
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Dr. Simonis, wie an meinem ersten Schultag hier.) Er hatte einem der Schüler einmal gesagt, es sei ihm eine Herzensangelegenheit, seinen Schülern Werte und moralische Standpunkte zu vermitteln. Seitdem hatte er den Spitznamen »Herzchen«. Was ich blöd fand, denn er sah wirklich nicht wie ein Herzchen aus. Eher wie ein alter Marathonläufer, sehnig und mager. Und er hatte stahlblaue Augen.
    Das Thema meines Referats: »Nenne die unterschiedlichen Faktoren, die in Zentralafrika immer wieder zu Hungersnöten führen.« Boah. Ein harter Brocken. Aber hat irgendwie Spaß gemacht, sich da reinzuknien. Das hat man mir natürlich angemerkt, ein paar Tage später, als ich das Referat vor der Klasse vortragen musste. Und ich erhielt die Quittung dafür: Niemand hat zugehört!
    Einer der Jungs, Yannik, sonst eher zurückhaltend, hat seine Kaugummiblasen mit einem Knall platzen lassen und laut »Tschuldigung!« gebrüllt, Annika ist die Nagelfeile runtergefallen und sie konnte sie einfach nicht wiederfinden, ein paar Leute spielten Fußball mit einem kleinen Schaumgummiball, immer so, dass der Lehrer es nicht sehen konnte, Rosanna, ein Mädchen, das sonst putzmunter war, gähnte, Simon kritzelte Strichmännchen auf seine Kladde
und Felicitas hatte die Ohrstöpsel für ihren iPod unter den Haaren versteckt und hörte mit halbgeschlossenen Augen Musik - während der Lehrer annahm, sie würde andächtig meinem Vortrag lauschen.
    Marcia flüsterte die ganze Zeit mit Nadine, ich sah das aus dem Augenwinkel, ich hörte das Kichern der beiden und wie sie ungeduldig und gelangweilt mit den Stuhlbeinen auf dem Steinboden scharrten. Es kam mir vor wie Höllenlärm, wie etwas, das mir Übelkeit und Herzrasen verursachte. Ich konnte meinen eigenen Text nicht mehr leiden, hasste jeden Satz, der da stand, jedes Wort. Ich dachte: Sie haben ja recht, es ist alles eine gequirlte Kacke! Mehrfach machte ich eine Pause, aber der Direktor hob nur den Kopf, nickte mir zu und sagte: »Weiter bitte.«
    Ich war schweißgebadet, als ich endlich den letzten Satz sagen konnte. Ich ging zu meinem Platz und ließ mich auf den Stuhl fallen wie ein Mehlsack.
    Sobald ich geendet hatte, war es wieder still in der Klasse. Der Direktor schaute sich um und fragte:
    »Welche Note würdet ihr diesem Referat geben?«
    Niemand meldete sich. Er fragte Simon.
    Simon zuckte nur mit den Schultern. »Tut mir leid. Ich hab nicht so genau zugehört. Da war immer eine blöde Fliege um mich rum.«
    Was für ein dummes Gerede.
    Der Direktor forderte Felicitas auf, etwas zu sagen. Sie ließ diskret ihre Ohrstöpsel unter dem Tisch verschwinden und sagte: »Keine Ahnung. Mich interessiert Afrika nicht besonders.«
    Na toll, Felicitas von Behrenberg! Machst deinem feinen Namen alle Ehre. Ein paar in der Klasse feixten und gaben
geflüsterte Kommentare ab. Ich sah alles, ich hörte alles, ich hatte Augen und Ohren im Rücken.
    Als der Direktor dann Marcia aufforderte, drehte die sich halb zu mir um, lächelte mir zu und sagte: »Es war gut, oder?«
    Danke, Marcia! Ich schließ dich in meine Gebete ein! Du hast mir den Glauben zurückgegeben! Du wenigstens hasst mich nicht!
    »Ja. Das ist eine glatte Eins«, sagte der Direktor. »Nehmt euch alle daran ein Beispiel. So wünsche ich mir die Referate. So eindringlich, so gut formuliert und recherchiert.«
    Mir stockte der Atem.
    Ich glaube, das war das Allerschlimmste.
    Dass ich irgendwie immer gute Noten bekam, so oft von Lehrern als leuchtendes Beispiel von Fleiß und Ehrgeiz vorgeführt wurde - es gab mir in der Klasse den Rest. Felicitas heulte geradezu auf, als der Direktor das sagte. Annika kommentierte: »Seht ihr, ich hab’s gewusst.«
    Irgendjemand rief: »Mann, das wird allmählich langweilig. Können wir vielleicht auch mal wieder gelobt werden?«
    Ich drehte mich um, ich wollte wissen, wer das gesagt hatte. Aber da klatschten sie schon alle mit den Handflächen auf die Tische, was Beifall bedeutete, und starrten trotzig geradeaus. Sie hassten mich vielleicht wegen vieler Dinge - dass ich aus der Ukraine kam, dass meine Kleider so altmodisch waren, aber richtig übel nahmen sie mir, dass ich mich so schnell an die neue Schule anpasste. Dass ich nicht die Doofe aus der Realschule war.
    Alle, bis auf Marcia. Sie hatte so was wie Verständnis für mich, aber (wie ich später noch sehen sollte) zu wenig Mut gegenüber der Meute, dies auch zu vertreten.

    Zu ihr bin ich nach der Stunde gegangen. Ich hab mich bedankt, Marcia

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