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Bokeh

Bokeh

Titel: Bokeh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris P. Rolls
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ein Traum.
    Ich nehme mir Zeit für mich, auch wenn es schon spät ist. Zum Pflegen, Augenbrauen zupfen und rasieren. Nur am Kinn nicht. Es stehen keine weiteren Aufnahmen in Frauenkleidung an, und selbst wenn, die kleinen Stoppeln sind rasch entfernt. Caleb soll sich seine dummen Fantasien woanders herholen. Ich bin keine Frau, ich bin ein Mann.
    Es klopft dezent, als ich die Badezimmertür hinter mir schließe. Perfektes Timing, da kommt mein Champagner.
    „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ Guter Service. Neben dem Kühler steht eine Schale mit Eiswürfeln und Erdbeeren. Ich mag irgendwie keine, Erdbeeren sind nicht mein Fall. Die junge Frau lächelt ihr Berufslächeln und es steht ihr. Ein wenig grau, die Maus. Nun ja, nicht jeder ist mit besonderer Schönheit gesegnet.
    „Danke, ich bin rundum glücklich“, lüge ich. Kommt mir leicht von den Lippen, ich bin es gewohnt.
    Der Champagner duftet wirklich gut, das leise Zischen und Prickeln ist ein angenehmes Geräusch. In diesem filigranen Glas kommt seine Schönheit gut zur Geltung. Ich setze mich im Bademantel auf das Bett, das Glas in der Hand und beobachte die Bläschen beim Aufsteigen in der weißgoldenen Flüssigkeit. Mit jeder kleinen Blase entweicht die Kohlensäure aus dem Getränk, mit jeder davon nimmt der Wert ab. Ich versuche mich kurz darin, auszurechnen, wie kostspielig wohl jedes dieser Bläschen ist, wenn es an der Oberfläche zerplatzt. Zehn Cent? Einen Euro? Nein, englische Währung, ich bin in London. Eigentlich ist es mir auch egal. Das Geld verdiene ich bei einer Aufnahme allemal. Ich habe im Grunde auch gar keinen Durst, nippe nur ein paar Mal daran und bewundere die Schönheit hinter Glas.
    Es bereitet mir eine seltsame Genugtuung zuzusehen, wie der Wert dieses kostbaren Champagners abnimmt und sinnlos in der Luft verpufft. In wenigen Stunden wird dieses Glas nur noch eine schal schmeckende Brühe enthalten. Nichts bleibt zurück, von der Schönheit und Exclusivität, außer ordinärem Wasser mit vergorenem Traubengeschmack. Und nein, ich fange jetzt nicht an zu philosophieren, ich gehe endlich schlafen.
    Dunkelheit erfüllt das große Zimmer, man hört nur das Hintergrundrauschen einer großen Stadt. Vertraute Geräusche. Auf dem Nachttisch haucht der Champagner mit viel dezenteren Lauten sein prickelndes Leben aus.
    Ich stelle mir vor, wie Dirk neben mir liegt und leise schnarcht. Oh ja, ein Mann wie er muss schnarchen, dass gehört dazu. Er würde auf dem Rücken liegen, einen Arm angewinkelt, den Kopf leicht zur Seite gedreht. Die Bettdecke ist ein wenig hinabgerutscht, sodass man seine behaarte Brust sehen kann.
    Bei den Aufnahmen in Bali vor zwei Jahren war es kochend heiß. Ich erinnere mich daran, wie er sein Hemd ausgezogen hat und meine Konzentration rapide nachließ, weil ich dauernd auf diese verführerischen rotbraunen Haare starren musste. Wenn ich meine Hand hebe, kann ich mir vorstellen, wie ich hindurch streiche, sie auf seine Brust lege und ihm beim Atmen zuschaue. Er ist so wunderschön. Sein Kuss prickelt auf meinen Lippen, süßer und kostbarer als jeder Champagner, weit weniger vergänglich als dieser.
    Meine Nacht ist voll unruhiger Träume, während er irgendwo im selben Hotel, hoffentlich alleine, schläft.
    Pünktlich erscheine ich im Studio, versprühe gute Laune und plaudere mit meiner Haarstylistin. Dirk ist noch nicht da, Vivian und Caleb schon. Ich grüße beide freundlich wie alle anderen auch, er wirft mir kaum einen Blick zu, tut beschäftigt. Vielleicht hat er Angst, ich würde sein dreckiges Geheimnis ausplaudern. Schon möglich, nur heute ist mir nicht danach. Vivian wirkt verkatert, nicht einmal die viele Schminke täuscht darüber hinweg. Ich gönne ihr die höllischen Kopfschmerzen und Übelkeit, mache mir einen Spaß daraus, laut zu lachen und gelegentlich in ihrer Nähe etwas scheppernd fallen zu lassen.
    „Ups. Was bin ich heute ungeschickt.“
    Dirk kommt spät und schaut ziemlich übermüdet aus. Meine Laune sinkt sofort. Also hat er sich gut amüsiert letzte Nacht. Nicht drüber nachdenken, das kann ich gerade nicht gebrauchen. Lächeln, gut aussehen, meinen Job machen. Ich bin Profi, ich bin Joschi und ich bin der Beste.
    Und Dirk ist ebenso Profi. Verkatert oder nicht, selbst wenn er Vivian die halbe Nacht durch die Matratze gefickt hat, er ist konzentriert, er ist gut, er ist perfekt. Deswegen liebe ich ihn und werde es immer tun. Heimlich, aus der Ferne, freue mich über jeden

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