Bold, Emely
unbeschreiblich es sich angefühlt hatte! Und jetzt! Leere! Nichts! Wie die vielen Jahre zuvor fühlte er nichts! Er trat voller Kraft gegen einen Stein, der daraufhin in der Finsternis verschwand. Und noch immer fühlte er nichts!
Bitte! Bitte! Gott, bitte erlöse mich!
Payton starrte in den schwarzen, sternenklaren Himmel hinauf. Endlos stand er so da. Die Zeit verging, und doch hatte sie keinerlei Bedeutung. Und genau wie unzählige Male zuvor wurde seine Bitte auch jetzt von niemandem erhört.
Kapitel 4
Der letzte Punkt der heutigen Tour bestand aus dem Besuch des legendären Urquarth Castle. Eine Schar Japaner beendete gerade ihre Besichtigung der Ruine und brachte Unruhe in meine Gruppe. Unser Reiseleiter hatte nicht bemerkt, dass ein Teil seiner Leute zurückgeblieben war. Mich störte das nicht im geringsten. Zwar hatte ich im Laufe des Tages Gefallen an der Tour gefunden, aber ich musste nicht jedes einzelne Detail der Historie verstehen, um die Schönheit dessen zu begreifen, was ich mir ansah.
Ein Mann, der beinahe aussah wie Arnold Schwarzenegger, fesselte einen Moment meine Aufmerksamkeit, als er versuchte zusammen mit seiner Begleiterin auf ein Foto zu kommen. Er platzierte seine Kamera mit Selbstauslöser auf einem kleinen Mauervorsprung. Dann rannte er schnell zurück zu seiner Liebsten und legte ihr den Arm um die Hüfte. Kurz verharrten die beiden in dieser sehr unnatürlichen Position, ehe Arnold nachsehen ging, ob es diesmal funktioniert hatte. Ich schüttelte den Kopf und entschloss mich, am heutigen Tag noch eine gute Tat zu vollbringen.
„Kann ich euch vielleicht helfen?“, erbot ich mich, ein Foto von ihnen zu machen.
„Oh ja, danke! Wir sind auf allen Bildern immer mit abgeschnittenen Köpfen zu sehen.“, lachte die Frau.
Glücklich reichten sie mir ihre Kamera und lächelten in die Linse. Bevor sie sich verabschiedeten, ließ ich mich im Gegenzug von ihnen vor den sagenumwobenen Tiefen des Loch Ness knipsen. Inmitten dieser riesigen Ruine konnte ich mir kaum vorstellen, dass hier tatsächlich Menschen ihren Alltag erlebt hatten. Ich sah grobschlächtige wikingerähnliche Männer vor mir, wie sie ihre Schwerter schwingend, aufeinander einschlugen. Menschen einer anderen Welt eben. Einer Welt vor siebenhundert Jahren. Ich erklomm den Turm und genoss den atemberaubenden Ausblick auf Loch Ness. Sofort verstand ich, warum dieses Gewässer den Menschen solche Rätsel aufgab. Das Wasser schien beinahe schwarz zu sein und seine Oberfläche war unruhig und trüb. Kahle Äste trieben in der Strömung und ragten wie knochige Arme aus den geheimen Tiefen hervor.
Der Wind blies mir meine Haare in die Augen und ich stieg zurück in den Turm. Meine graue Windjacke war nicht wirklich für das schottische Klima gemacht. Ich schlenderte noch einige Minuten hinter einem verliebten Pärchen her, ehe mir auffiel, dass von meiner Reisegruppe jede Spur fehlte. Mit einem schnellen Blick suchte ich die Ruine ab. Scheiße! Wo sind denn alle?
Ich zog die Jacke fest um mich und machte mich auf den Rückweg. Der Weg führte über eine kleine Brücke, einen Hang hinauf und in die geöffneten Tore eines Souvenirshops. Sehr viele Menschen drängten sich durch die schmalen Gänge des Ladens. Ich suchte den kürzesten Weg durch die immense Anzahl von Souvenirs bis zum Ausgang. An der hinteren Wand entlang schien ich die besten Chancen zu haben. Nur beiläufig fiel mein Blick auf einen Ständer mit Wappen und Farben der Clans. Was? Wie angewurzelt blieb ich stehen. Etwas hatte meine Aufmerksamkeit erregt. Ich griff in meinen Ausschnitt und holte den Anhänger meiner Grandma hervor. Ich hatte mich nicht getäuscht. Wahnsinn! Indiana Jones in mir jubelte!
Neugierig nahm ich das Wappen, welches mein Interesse geweckt hatte von dem metallenen Ständer. Es war das Clanswappen der Camerons. Das Souvenir war etwas größer als mein Amulett und kostete zwölf Pfund. Es gab auf dem Ständer zu jedem Clan ein passendes Wappen. Warum hatte ich eine Kette mit dem Wappen der Camerons auf Grandmas Dachboden gefunden? Und warum wurde mein Anhänger schon wieder so warm?
Nicht so heiß wie das letzte Mal, aber doch deutlich wärmer, als der Anhänger aus dem Shop. Rein äußerlich waren sich die beiden Schmuckstücke sehr ähnlich. Die fünf Pfeile, die in der Mitte zusammengebunden waren, umgeben von einem Schriftzug. Dieser war auf dem Souvenir deutlich zu lesen:
Aonaibh ri Cheile
stand dort in klaren
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