Bold, Emely
gewesen und der Tag war in seiner Erinnerung noch so lebendig als wäre es erst gestern gewesen.
Es war der Tag der großen Jagd. Alle Männer des Clans der McLeans waren schon im Morgengrauen auf der Burg erschienen und noch ehe der Nebel, der die Täler überzog sich aufgelöst hatte, waren sie aufgebrochen. Sean ritt zum ersten Mal mit zur Jagd und wich seinem Vater nicht von der Seite. Die Pferde und Hunde preschten los, sodass das Moos unter den Hufen aufstob und Vögel, die in den nahen Felsen nisteten, vom Lärm aufgeschreckt wurden und kreischend über den morgendlichen Himmel flogen. Die Feuchtigkeit und Kühle der Luft kroch unter Seans Kleider. Doch die Gänsehaut, die er am ganzen Körper spürte, kam nicht daher, sondern von der Erwartung, die ihn erfüllte. Fingals Haar war damals noch braun gewesen und nur an den Schläfen zeigten sich vereinzelt einige weiße Strähnen. Trotzdem wirkte er noch immer jung und kräftig, wie er sein Pferd so mühelos nur durch den Druck seiner Schenkel lenkte. Sean dagegen hatte große Mühe, das Pferd, das er ritt, unter Kontrolle zu halten. Angespornt durch die Energie der anderen Tiere wollte auch sein Hengst davon galoppieren. Angestrengt versuchte Sean, immer an der Seite seines Vaters zu bleiben. Vor ihnen erstreckte sich eine weite Ebene, die sie noch zu überqueren hatten, ehe sie in den dichten Wald gelangen würden. Damals hatte es in Schottland noch Wälder gegeben. Reiche Wälder, voller Wild. Erst viele Jahre später, nach der schrecklichen Niederlage von Culloden, war es der Herzog von Cumberland gewesen, der alle Wälder Schottlands gnadenlos roden ließ. Er, den sie auch den Schlächter Cumberland nannten, weil er alle Überlebenden des Aufstandes gejagt und niedergemetzelt hatte. Dadurch hatte er ihnen die Möglichkeit genommen, sich von dem Wild der Wälder zu ernähren und sich mit dem Holz der Bäume ihre Herde zu schüren. Nach der Niederlage kam es deshalb zu einer großen Hungersnot, die noch viele Leben mehr forderte, als es der Krieg getan hatte. Doch damals, am Tag der Jagd hatte es diesen Wald noch gegeben. Als sie in das Unterholz eintauchten und mit den Farben des Waldes verschmolzen, ritten sie nur noch im Schritttempo. Sean kam es vor, als wäre er mit seinem Vater allein unterwegs. Die anderen Jäger waren spurlos verschwunden und nur selten drang das Bellen eines Hundes an ihr Ohr. Fingal hielt sein Pferd an, richtete sich im Steigbügel auf und spähte angestrengt nach Westen. Sean versuchte zu erkennen, was die Aufmerksamkeit seines Vaters erregt hatte, doch so sehr er sich auch bemühte, er sah nur Bäume vor sich. Fingal deutete mit der Hand zwischen eine Gruppe junger Eichen. Ein einzelner Sonnenstrahl fiel durch die dichten Kronen der Bäume bis zum Boden. Das feuchte Moos glitzerte unter den tausenden Tautropfen und die ersten Insekten tanzten in dem goldenen Strahl. Es schien, als würde diese kleine Lichtung grün leuchten, so saftig waren die Farben der Blätter und das Moos, das nicht nur den Boden bedeckte, sondern der Schwerkraft trotzend, seinen Weg die Stämme hinauf gefunden hatte. An dieser Stelle hatte die Wärme dieses einzelnen Sonnenstrahls ausgereicht, den Nebel zu vertreiben, während er überall sonst den Boden noch wie ein silberner Schleier verbarg.
Da, eine Bewegung. Nun konnte Sean den Hirsch sehen, den sein Vater bereits entdeckt hatte. Wie die Krönung der Natur trat der Hirsch langsam hinter dem Baum hervor und streckte seine Nase in die Luft. Er witterte. Fingal zögerte nicht länger. Er spannte den Bogen mit all seiner Kraft. Sein Arm war ruhig, seine Muskeln gespannt, die Fingerknöchel traten weiß hervor. Das alles nahm Sean wie in Zeitlupe war. Er fragte sich, wer die eigentliche Krönung der Schöpfung war, denn sein Vater stand in diesem Moment der Anmut und Herrlichkeit des Hirsches in nichts nach. Dann blickte der Hirsch in ihre Richtung. Mit einem leisen Surren schnitt der Pfeil durch die Luft und fand sein Ziel: Die starke zitternde Brust des Hirsches. Das Tier schien nicht überrascht, als seine Vorderhufe einknickten und es langsam zu Boden taumelte, ohne jedoch Fingal und Sean aus den Augen zu lassen. Schnell stiegen sie ab und näherten sich dem Hirsch. Das edle, majestätische Tier lag verwundet vor ihnen, seine Brust hob und senkte sich bei jedem qualvollen Atemzug. Fingal bedeutete seinem Sohn, dem Tier die Kehle durchzuschneiden und es somit von seinem Leiden zu erlösen. Zusammen
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