Bolero - Ein Nick-Sayler-Thriller (German Edition)
konnten.
Eingezwängt in Kleidung, die ein paar Nummern zu klein war, musste sie gut und gern fünfzehn Kilo schwerer sein als ich. Selbst das Goldkettchen um ihren Hals mit den Goldbuchstaben, die den Namen
Latrisha
ergaben, wirkte zu eng. Ihre Hände hingegen waren überraschend hübsch, von den leuchtend grünen Fingernägeln einmal abgesehen, die wie tödliche Waffen wirkten.
Sie warf mir eine Rolle Papierhandtücher zu, und ich wischte mir das Wasser von Gesicht und Hals. Ich hatte mich bereits damit abgefunden, in einem nassen Hemd herumzulaufen, und versuchte,einen Zen-Zustand zu erreichen, um den Schmerz in meinem Bein zu transzendieren, der mit dem Schmerz in meiner Seite zusammengetroffen war und ihn geehelicht hatte.
»Okay«, sagte Latrisha und streckte die Hand aus, in die ich einen durchgeweichten Zwanzigdollarschein legte.
Sie trug ein Headset, und als das Telefon drei Mal nacheinander klingelte, war ich beeindruckt, wie rasch sie die Anrufe entgegennahm und wie effektiv sie die Fahrer einteilte. Ich wusste, dass sie mit den großen Wagen der Flotte zu tun hatte – soll heißen, den schwarzen Limousinen –, weil man die Yellow Cabs nicht bestellen konnte.
Sie hörte dem vierten Anrufer eine halbe Minute zu, bevor sie sagte: »Was – sind Sie verrückt? Wenden Sie sich an den Notruf!« Sie drückte den Ausschaltknopf auf ihrem Tisch und sah mich an.
»Irgendein Blödmann hat einen Herzinfarkt, und die rufen einen Taxidienst«, sagte sie. »Was wollen Sie also?«
Ich sagte es ihr, und sie erwiderte, sie glaube nicht, an diese Information kommen zu können.
Ich ließ einen Fünfziger in den Müll auf ihrem Schreibtisch fallen, und sie sagte, vielleicht könne sie herausfinden, wer dieses Taxi zum Bellevue gefahren hatte.
Ich wusste, dass die Information etwa fünf Computertasten entfernt war – dem GPS-System sei Dank, das vor Kurzem in sämtlichen Big-Y-Fahrzeugen installiert worden war. Meine Quelle stammte wirklich noch aus dem letzten Jahrhundert: die Gelben Seiten.
Ich hatte es eilig, also ließ ich einen weiteren Fünfziger in den Müll des Schreibtischs fallen. Er verschaffte mir den Namen des Fahrers, der Hadley in die Klinik gebracht hatte, aber Latrisha sagte, sie kenne seinen Dienstplan nicht.
»Haben Sie eine Nummer für ihn?«, fragte ich.
»Was ist die wert?«
»Ich bin fast pleite«, erwiderte ich, und das stimmte sogar. Fast.
»Was haben Sie noch übrig?«, fragte sie.
Ich legte zwei Zehnerscheine und ein paar Vierteldollarmünzen hin und wartete, während sie weitere drei Anrufe nacheinanderentgegennahm und einen Wagen losschickte, der einen Fahrgast am LaGuardia’s Delta Terminal aufsammeln sollte, einen weiteren an der Ecke von Prince und Mercer und einen dritten am Lexington-Avenue-Eingang zu Bloomingdale’s.
»Das ist alles?«, fragte sie, als sie die Scheine mit ihren grünen Krallen aufnahm und das Wechselgeld großzügig liegen ließ.
»Latrisha«, sagte ich, »warum sollte ich Sie anlügen – soll ich meine Taschen umkehren?«
»Okay«, sagte sie, tippte auf die Tastatur ihres Computers und förderte die Handynummer von Narinder Singh zutage.
»Was ist mit seiner Anschrift?«, fragte ich.
»Die ist hier nicht drin«, erwiderte sie. »Haben Sie ganz bestimmt nicht noch etwas Geld?«
»Ganz bestimmt nicht«, entgegnete ich. Soll heißen, ich hatte kein weiteres Geld für Latrisha. Und Meriwether konnte die Anschrift herausbekommen. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
»Vielleicht gebe ich Ihnen was für umsonst …«, sagte Latrisha, als ich mich zur Tür begeben wollte.
»Und was?«, fragte ich.
»Ich weiß, wo der Fahrer gerade jetzt ist …«, antwortete sie.
Sie hielt inne und probierte, mich niederzustarren. Sie hatte alle Zeit der Welt.
»Ich hab wirklich kein Geld mehr«, erklärte ich.
»Sie lügen«, sagte sie.
Ich öffnete die Tür.
»Khyber Pass«, sagte sie. »Da hängen diese ganzen Turbanträger rum.«
»Er trägt einen Turban?«, fragte ich.
»Nein«, erwiderte Latrisha. »Aber er ist ein Turbanträger.«
52
Raja Jang parkte an der Ecke und wartete. Er sprach immer noch mit Überlichtgeschwindigkeit auf Urdu in sein Handy – vielleicht nach wie vor dasselbe Gespräch – und bemerkte scheinbar gar nicht, dass ich wieder ins Taxi stieg.
Das Taxameter stand bei fünfundneunzig Dollar. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wie lange es her war, dass ich einen Fall ohne Spesensatz pro Tag angenommen hatte, aber da ich
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