Bollinger und die Barbaren
zufrieden mit
mir.
D raußen war alles ruhig. Schauren lag wie im Schlummer. Als wäre nichts geschehen. Nur der Brandgeruch, der immer noch in der
Luft lag, irritierte meine Nase ein wenig.
Miller und Straßer hatten die Hagenaus zu dem kleinen Parkplatz neben der Halle gebracht. Jetzt waren sie dabei, die Störenfriede
auf ihren Traktor zu bugsieren.
Kaum saß er oben, begann der Alte wieder zu schimpfen. Worauf, war nicht ganz klar. Er drohte damit, alles in die Luft zu
sprengen. Und immer wieder kam er auf Pierre Brück zurück.
»Der Verräter! Deutschenfreund! Sitzt mit ihnen an einem Tisch. Kein Wunder, im Bett hat er ja auch eine Deutsche. Ich habe
mein Leben lang immer genau gewusst, wo ich meinen Schwanz reinstecken kann und wo nicht.«
»Das geht zu weit«, sagte ich und schaute Louis Straßer an.
Doch Straßer zuckte nur mit den Achseln.
»Das ist bloß ein alter Schwätzer. Der hat Lotte Brück höchstens mal von weitem gesehen.«
»Die deutsche Sau!«, schimpfte der alte Hagenau und spuckte aus.
Miller packte das Handgelenk des Alten und zog ihn mit einem Ruck vom Traktor.
Hagenau schlug sich an der Verkleidung des rechten Hinterrades die Stirn auf. Sofort floss Blut. Miller ließ ihn los und nahm
ein paar Schritte Abstand. Mit fremdem Blut wollte er nicht in Berührung kommen.
Seine Söhne halfen dem Alten auf die Beine und drückten ihm ein zerfleddertes Tempotaschentuch auf die Wunde. Von uns rührte
sich niemand. Ich hatte zwar eine ganze Packung Taschentücher in meiner Jackentasche, aber nach den üblen Beschimpfungen dachte
ich nicht daran, dem Alten eines davon anzubieten. Schließlich hatte er Lotte beleidigt. Egal, wie sie sich auch benahm, |43| seit der Wackesberg abgebrannt war: Sie war immer noch meine Lotte. Aber ich hätte mich auch für jede andere Frau eingesetzt.
Ein Mann sollte nicht zulassen, dass ein verkommener Kerl wie der alte Hagenau in aller Öffentlichkeit eine Frau derart beschimpft.
Die beiden Söhne schoben ihren Vater auf den Traktor. Dann stiegen sie, ohne uns eines Blickes zu würdigen, ebenfalls auf.
Einer der beiden startete die Zugmaschine – und schon tuckerten die drei grußlos davon.
Meine Kollegen wichen nicht von der Stelle, bis die Hagenaus am Ende der Schaurener Hauptstraße in dem kleinen Wäldchen verschwunden
waren, in dem sie hausten. Erst danach kehrten wir in die Halle zurück.
Drinnen scharten sich die Schaurener um ihren Bürgermeister. Sie bemitleideten ihn – als hätte er bei dem Vorfall die schlimmsten
Blessuren davongetragen. Lotte saß wieder auf ihrem Platz in der ersten Reihe. Sie war bleich. Ihr Blick war starr nach vorne
gerichtet, sie schien nicht wahrzunehmen, was auf dem Podium vor sich ging.
Die Mitglieder des Gemeinderates setzten sich nieder. Pierre Brück nahm das Mikrofon zur Hand und beendete – deutlich derangiert
– die Gemeindeversammlung.
»Wenn jemand noch Fragen zu dem Projekt hat, so bitte ich ihn, sich an mich oder den Gemeinderat zu wenden. Wir werden uns
alle Mühe geben, etwaige Bedenken zu zerstreuen. Und nun, kommt gut nach Hause und vergesst nicht: Auch wenn es schwarze Schafe
unter uns gibt, wir sind doch eine Herde und rücken eng zusammen, wenn Gefahr droht. Gute Nacht, Leute.«
A uf dem Weg zum Revier erklärten mir meine Kollegen knapp und – wie es ihre Art war – drastisch, was es mit den Hagenaus auf
sich hatte.
Die Familie lebte schon seit Jahrzehnten abseits des Dorfes auf einem heruntergekommenen Hof. Mit nichts als ein paar alten |44| Hühnern und einem Pferch mit einigen mageren Schweinen. Die Mutter, die nur Geschimpfe, Schläge und harte Arbeit hatte aushalten
müssen, war nach der Geburt des Jüngsten gestorben. Dieser Charles sei etwas aus der Art geschlagen, meinte Straßer, er käme
nach der Mutter, die unter der Isolation der Hagenaus gelitten habe.
Aber der Alte, Joseph, habe halt immer seinen Kopf durchgesetzt. Nicht einmal Dr. Chariot, der sonst die Güte und Menschenliebe
in Person sei, setze noch einen Fuß über die Schwelle des verkommenen Anwesens im Wald. Die drei Männer lebten dort in einer
unvorstellbaren Verwahrlosung. Sie würden sich nur selten waschen und seit Jahren dieselben alten Kleider tragen. Sie bezogen
keine Zeitung, sie besaßen kein Radio und erst recht keinen Fernseher. Warum auch? Wenn die anderen Bewohner Schaurens sich
abends müde in ihren Sesseln niederließen, um die letzten Nachrichten
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