Bollinger und die Barbaren
will nicht, dass die Investoren verschreckt werden. Es hat einige
Raffinesse gekostet, ein zahlungskräftiges Konsortium für den heruntergekommenen Flecken zu interessieren. Im Übrigen hat
Schwierz auch ein Baugrundstück auf der deutschen Seite der Grenze im Blick. Es herrscht also Konkurrenzdruck.« Er wandte
sich wieder Straßer zu. »Vielleicht wäre es von Vorteil, wenn ihr den Hagenaus einen Besuch abstatten und sie noch einmal
gehörig zusammenstauchen würdet.«
Das ging zu weit. Wir waren dazu da, die öffentliche Ordnung zu sichern, aber wir waren nicht der Stoßtrupp des Bürgermeisters |47| , wenn es um die Grundstücksgeschäfte der Gemeinde ging.
»Warum hat die Familie Hagenau denn so heftig auf den Verkauf des Wackesberges reagiert?«, erkundigte ich mich.
Brück schaute zu Straßer, zu Miller, dann wieder zu mir.
»Mein Gott, Bollinger, das fragen Sie noch? Die Hagenaus sind Querulanten und Unruhestifter aus Prinzip.«
»Wir sind momentan etwas überlastet, monsieur le maire «, erklärte ich steif. »Schließlich haben wir einen Toten am Hals. Vielleicht sogar einen Mordfall. Zumal solche Hausbesuche
meiner Ansicht nach nicht zu den Aufgaben der Polizei gehören ...«
Pierre Brück trank sein Glas leer. Er hustete, stellte es ab – und lächelte. Er lächelte uns an, als hätten wir bei einer
Flasche Rotem über etwas ganz und gar Belangloses wie Politik oder das Wetter gesprochen.
»Sie haben ja recht, Herr Bollinger. Bitte entschuldigen Sie die Störung. Ich bin eben auch nur ein einfacher Bürgermeister,
der seine Sorgen hat ...«
»Ich kann ja abends mal privat bei dem alten Joseph vorbeischauen«, schlug Straßer vor.
»Ach, lass es gut sein, Louis, ihr habt wirklich genug zu tun. Mit dem Toten im Gebälk.«
Brück ging zur Tür, die Last der ganzen Welt ruhte auf seinen Schultern. Dann wandte er sich noch einmal um.
»Aber wenn nur die kleinste Kleinigkeit passiert, wenn unser Partner aus Frankfurt verstimmt wird, Bollinger – dann mache
ich Sie dafür verantwortlich. Au revoir!«
A m nächsten Tag machten wir die Probefahrt mit Millers Sharan. Ich durfte vorne neben ihm sitzen. Der Wagen gefiel mir. Man
saß wie in einem klimatisierten Reisebus.
Wir fuhren die kerzengerade Strecke von Schauren nach St. Avold. Es handelte sich um eine dieser typischen nordfranzösischen
Straßen – dreispurig und endlos fraß sie sich über |48| unzählige Hügel, durch unzählige kleine Täler. Und manchmal konnte man über die Unebenheiten der Weidelandschaft hinweg bis
zum Horizont sehen. Vor allem von meiner privilegierten Position auf dem erhöhten Beifahrersitz aus.
Miller gab Gas. Im Nu war der Sharan auf 140 Stundenkilometern. Alain war in seinem Element.
»Wollt ihr Musik hören? Ich habe mir einen CD-Player einbauen lassen.«
»Sie wissen aber, dass hier nur 100 Stundenkilometer erlaubt sind?«, fragte ich.
»Aber für uns doch nicht«, entgegnete Alain.
Ich sah ihn an – und bemerkte, dass er es ernst meinte. Er drückte irgendwelche Knöpfe an der CD-Anlage, dabei geriet er auf
die Mittelspur, die beiden Fahrtrichtungen zum Überholen vorbehalten war.
Die Bässe dröhnten, ich hielt mir die Ohren zu. Doch es nützte wenig, die enormen Schwingungen durchdrangen den ganzen Körper.
»Was ist das denn?!«, brüllte Louis hinter mir.
Alain Miller strahlte vor Stolz. »Habe ich mir von Amazon kommen lassen. Richtig harter Rock.«
Es war ein höllischer Lärm. Der Text war nicht zu verstehen. Nur französische Wortfetzen drangen durch. Ich hörte etwas von
der Größe der Nation, von den fremden Giften, die das gesunde Frankreich auffraßen.
»Stell das ab!«, befahl Louis.
Miller reagierte nicht. Louis beugte sich über meine Schulter und drückte auf den Powerknopf.
Stille. Nicht mal das Motorengeräusch des Sharan war noch zu hören.
»Was hast du denn bezahlt für die Kiste?«, wollte Straßer wissen.
»Das ist eine Anschaffung fürs Leben«, beteuerte Miller. »Ich habe einen Kredit aufgenommen. Und wie gesagt, meine Mutter
hat ...«
|49| »Ja, ich weiß, sie hat was dazugegeben«, unterbrach Straßer genervt. »Und was ist, wenn du die Kiste zu Schrott fährst oder
man sie dir klaut? Dann hast du ein kleines Vermögen verschleudert.«
»So einen Wagen kannst du gar nicht zu Schrott fahren. Das ist wie bei einem LKW. Wenn du damit gegen einen Baum fährst, ist
der Baum hin – und deine Stoßstange, mehr aber auch
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