Bollinger und die Barbaren
anzuschauen oder Musik zu hören, seien die Hagenaus
schon sturzbetrunken.
Die Familie lebte von der Sozialhilfe. Sie lag der Gemeinde auf der Tasche, was viele Bürger besonders aufbrachte, wenn die
Hagenaus sich wieder mal in der Mittagsonne auf dem Marktplatz breitmachten und Wein aus Tetrapaks süffelten.
Seit dem Tod der Mutter habe sich höchstens mal eine der Säuferinnen, die ziellos durch die Gegend zogen, in das Haus der
Hagenaus verirrt. Diese Frauen seien aber nur verprügelt und im Suff herumgereicht worden. Deshalb habe es keine lange dort
ausgehalten.
Vor ein paar Wochen aber hätten die Hagenaus eine Fremde angeschleppt. Angeblich hatte Charles sie in Polen aufgegabelt. Eine
Weile sah es so aus, als bewirke die sorgende Hand der jungen Polin, die da draußen nun den Haushalt führte, ein Wunder: Die
Hagenaus hätten sich die Haare geschnitten, sie hätten ihre alten Klamotten weggeschmissen und sich neue Kleider gekauft.
Sie seien sogar ab und zu in Geschäften des Ortes gesichtet worden – nüchtern. Und gestunken hätten sie auch nicht mehr.
Allerdings sei das arme Ding bald ebenso verkommen wie die |45| Hagenaus. Die Männer ernährten sich also wieder von Schnaps und begingen noch öfter als vorher kleine Gaunereien – schließlich
hatten sie jetzt ein Maul mehr zu füttern. Allerdings achtete der alte Hagenau darauf, dass seine Bagage niemals in Schauren
kriminell wurde. Sie seien wie wilde Tiere, und die würden ihr eigenes Nest auch nicht beschmutzen, erklärte Alain Miller
lakonisch.
Miller war es auch, der sich noch daran erinnern konnte, dass Charles, der jüngere Sohn, in der Schule gerne Gedichte vorgetragen
hatte und vom Lehrer dafür oft gelobt worden war. Als er aber einmal mit einem Wisch nach Hause kam, auf dem der Schulleiter
dem Vater ans Herz legte, seinen begabten Sohn aufs Gymnasium nach Metz zu schicken, habe der ihn so verprügelt, dass Charles
von Stund an ebenso dumm und faul wurde wie sein älterer Bruder Luc.
In Schauren fielen die Hagenaus nur selten auf. Meistens bei Dorffesten oder an der Kirmes. Dann ließen sie sich volllaufen
und randalierten. Auch auf politischen Veranstaltungen seien sie – wegen des Freibieres, das da ausgeschenkt wurde – häufig
Gäste. Wenn man ihnen den Alkohol verweigerte, wurden sie laut. Die politische Farbe der Partei spielte dabei keine Rolle.
Der Alte sei, wenn er was getrunken habe, jedenfalls ein schreckliches Großmaul und ein Quertreiber durch und durch, was er
heute ja mal wieder bewiesen habe.
»Die drei kommen mir vor wie eine Bande Ganoven aus einem Märchen«, sagte ich amüsiert.
Straßer wies mich jedoch darauf hin, dass ich die Hagenaus nicht unterschätzen dürfe. In St. Avold und selbst in Pirmasens
seien sie den Kollegen schon öfter durch ihre außergewöhnliche Aggressivität aufgefallen.
»Im Übrigen wissen wir nicht, was die sonst noch so alles treiben. Nur eines ist klar: Arbeiten tut keiner von denen.«
»Na ja, so ist es auch nicht, Louis«, wandte Alain ein. »Sie flicken kaputte Autos. Schwarz natürlich. Nicht wenige Schaurener
wissen das zu schätzen – bei den Preisen in der Werkstatt.«
|46| Straßer wollte etwas entgegnen, aber in diesem Moment betrat Pierre Brück das Revier. Der Bürgermeister war immer noch sehr
erregt. Er musste sich setzen und bat um ein Glas Wasser. Miller beeilte sich, ihm seinen Wunsch zu erfüllen.
»Diese Hagenaus. Dass uns ausgerechnet diese Brüder in die Parade fahren!«, seufzte Brück.
Ich hatte den Eindruck, dass er schauspielerte. Grandios zwar, aber nicht ohne Kunstanstrengung.
Louis Straßer versuchte den Bürgermeister zu beruhigen. Aber auch er klang sehr angestrengt.
»Pierre, um die musst du dir keine Sorgen machen. Die haben wir im Griff.«
Brück schüttelte fassungslos den Kopf.
»Das hätte nicht passieren dürfen. Niemals!« Er krallte sich in Straßers Uniformärmel und sprach fast flehend: »Mensch, Louis,
stell dir bloß vor, der Investor hätte diesen Auftritt der Hagenaus miterlebt!«
Straßer klopfte ihm auf die Schulter. »Wird nicht wieder vorkommen, Pierre. Mein Wort drauf!«
Brück schaute mich und Miller an. »Was ist mit euch beiden? Seht ihr das auch so?«
Das war es also, was der Bürgermeister brauchte. Einen Pakt. Deshalb die Schauspielerei. Alain Miller war verlegen, er bekam
nur ein Nicken zustande. Brück sah mich an.
»Herr Bollinger, Sie wissen, was auf dem Spiel steht. Ich
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