Bollinger und die Barbaren
Der Bürgermeister übersah mich geflissentlich.
Doch ich gab mich nicht geschlagen. »Darf ich auf etwas hinweisen?!«
Alle Köpfe drehten sich zu mir um. Der Bürgermeister kniff die Augen zusammen, um mich besser sehen zu können.
»Was gibt’s denn, Herr Bollinger? Ich bin noch nicht fertig.«
»Ich wollte nur etwas richtigstellen. Wie gesagt: Es ist noch nicht klar, wie der Mann zu Tode gekommen ist. Ich bin der Meinung,
dass einiges auf ein Gewaltverbrechen hindeutet.«
Ein mächtiges Geraune setzte ein. Jemand rief etwas, was nicht zu verstehen war.
»Herr Polizeichef, ich bin sicher, das wird sich schnell klären. In unserer Gemeinde gab es noch nie ein solches Verbrechen.
Und ich kann es mir, ehrlich gesagt, auch in diesem Fall nicht vorstellen.«
Er bekam dafür Applaus, vor allem von den Bürgerinnen, wie ich feststellen musste. Das Schlimmste aber war: Auch Lotte klatschte.
»Aus kriminalistischer Sicht ...«
»Darf ich jetzt fortfahren?!«, bellte der Bürgermeister ins Mikrofon.
Ich nickte unwillig und setzte mich auf den nächstbesten Stuhl. Meine Knie zitterten.
|38| Pierre Brück führte das Mikrofon wieder zum Mund. Es sah aus, als wollte er es aufessen. Das Raunen der Menge verstummte.
Alles lauschte gespannt.
»Wie ihr sicher wisst, war ich in der Brandnacht nicht vor Ort. Ich habe eine Dienstreise nach Deutschland unternommen. Nach
Frankfurt am Main.«
Er ließ seine Worte wirken.
»Den Grund meiner Reise habe ich für mich behalten. Ich wollte keine verfrühten Erwartungen wecken. Umso mehr freut es mich,
dass ich euch nun berichten kann: Meine Reise war erfolgreich.«
Erneutes Raunen. Dann herrschte wieder erwartungsvolles Schweigen.
»Ich habe für unsere Gemeinde ein gutes Geschäft auf den Weg bringen können. Der Wackesberg ist so gut wie verkauft – endlich!«
Schauren tobte. Ich schaute Straßer an, selbst er klatschte, wenn auch sehr verhalten. Miller hingegen war völlig aus dem
Häuschen; er klopfte den Umstehenden auf die Schultern, als wären sie allesamt in Frankfurt gewesen und hätten dort dem Bürgermeister
beigestanden. Brück gebot Ruhe.
»Der bedauerliche Brand hat keinen wirklichen Schaden angerichtet. Sieht man mal von dem alten Gemäuer ab. Die Kaufverträge
sollen schon in den nächsten Tagen unterzeichnet werden. Sobald die Abrissarbeiten abgeschlossen sind. Ich werde dafür sorgen,
dass das sehr schnell vonstatten geht. Und nun kommt die Krönung der Botschaft, meine lieben Freunde: Es ist mir gelungen,
den bekannten Konzertveranstalter Cyril Schwierz für Schauren zu begeistern.«
Die Leute verstanden noch nicht, was das zu bedeuten hatte, was ihnen ihr Bürgermeister da so stolz berichtete. Es wurde still
im Saal.
»Cyril Schwierz versucht seit Jahren, in der Grenzregion die Genehmigung für den Bau eines Musicaltheaters nach Wiesbadener
und Bochumer Vorbild zu bekommen. Die deutschen |39| Behörden waren bisher nicht sehr kooperativ, wie er mir sagte. Nun, ich habe ihn davon überzeugen können, seine Aktivitäten
auf die französische Seite der Grenze zu verlagern. Auf den Wackesberg. Unser Schauren wird reich und berühmt!«
Diese Nachricht schlug ein wie eine Bombe. Vor allem die jüngeren Dorfbewohner sprangen auf und jubelten dem Bürgermeister
zu. Die älteren Schaurener aber blieben eigenartig reserviert. Ich beobachtete, dass einige ungläubig die Köpfe schüttelten.
Rauber, der Sparkassenleiter, meldete sich. Brück übersah auch ihn geflissentlich. Doch Rauber trat aus der Sitzreihe und
ging nach vorn, wo er sich, ohne auf Brück zu achten, an die Schaurener wandte:
»Das Problem ist nicht zu lösen, indem man das Grundstück einfach verkauft.«
Die Jungen begannen zu tuscheln, die Alten nickten bedächtig. Brück schob Rauber vom Podium.
»Nun hör dir doch erst einmal an, was Cyril Schwierz vorhat, Rauber! Er will groß investieren. Sicher profitiert auch deine
Bank davon. Zuerst werden die Reste des Gemäuers abgetragen. Dann beginnen die Baumaßnahmen. Es soll ein Neubau entstehen.
Mit allem Drum und Dran. Ein Dienstleistungsgebäude, das Besucher aus dem ganzen Saar-Lor-Lux-Raum anzieht. Ja, Schwierz ist
sich sicher, dass sogar im Rhein-Main-Gebiet und in Paris Interesse besteht. Leute, das ist der Aufschwung, auf den wir schon
so lange warten. Schauren wird ein stinkreicher Ort werden.«
Der Jubel war unbeschreiblich. Brück wurde von begeisterten Bürgern abgeküsst – und ebenso
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