Bombenbrut
seine Patente zu Geld machen, er muss an Stengeles Aufenthaltsort interessiert sein – und sicher sitzt der Mann, wie jeden Morgen um 8 Uhr, beim Frühstück, hofft Leon, denn mittlerweile verspürt er Lust auf einen kräftigen Kaffee.
Dank seiner Entscheidung schon viel besser gelaunt, gibt er seiner CD erneut eine Chance: ›You can depend on me‹, swingt der Vokal-Chor der Manhattan Transfer Big-Band sofort wieder los, doch jetzt stimmt Leon mit ein. Am liebsten würde er den Song Herbert Stengele vorsingen. Der Mann hat Leons Sympathie erworben. Er scheint für ihn der einzige Ehrliche dieser Bombenbrut zu sein, vielleicht war er wirklich nur seinem Kindheitstraum erlegen und wollte immer weiter, noch tiefer ins All sehen. Dabei ist er gegen seinen Willen zum traurigen Erfindergenie dieser Mordswaffe geworden.
So ist es schon mehreren herausragenden Wissenschaftlern ergangen. Eine ganze Generation hatte sich während des Zweiten Weltkriegs der Erfindung der Atombombe verschrieben. In Deutschland Otto Hahn, Werner Heisenberg, oder Carl Friedrich von Weizsäcker. In den USA Robert Oppenheimer, Edward Teller und Leo Szilárd.
Kaum hatten sie ihre wissenschaftlichen Ziele erreicht, warnten sie schnell selbst vor dem Einsatz ihrer Erfindung und zeigten sich von ihrer bombastischen Wirkung erschrocken.
Leon fährt vorbei an den grünen Obstwiesen des Sees und den EADS-Werken in Immenstaad, bis kurz vor das Schloss Kirchberg. Hier setzt er den Blinker. Die Reben schimmern saftig in der Morgensonne, die noch jungen Trauben leuchten gelblich im Licht.
Die Sonne lacht heute wieder verlässlich von einem wolkenfreien Himmel. Die Temperatur klettert schon in der Früh auf über 20 Grad. Leon freut sich auf den neuen Jahrgang, die Wärme gibt Öchslegrade, dass der Seewein seine Frucht und seinen intensiven Geschmack in diesem Jahr entwickeln kann.
Langsam rollt er vor das eiserne Tor der Zufahrt. Erst gestern stand er um die gleiche Zeit davor und auch heute lächelt er wieder freundlich in die Kamera.
Nachdem sich das Tor geöffnet hat, fährt er bis zu den Kundenparkplätzen des Fabrikgebäudes, sieht, dass in der Portiersloge heute ein anderer Wachmann sitzt, verspürt aber diesmal keine Lust, den Mann zu foppen. Zielstrebig steigt er aus seinem Wagen, winkt dem Portier freundlich zu und geht, ohne sich nach ihm umzudrehen, einfach schnurstracks seinen Weg, um die Fabrik herum, zu der Uferterrasse des Schlösschens von Schwanke, als sei er hier zu Hause.
Er sieht die Frau des Hauses, heute im rasanten Leoparden-Bikini, leger auf der Terrasse sitzen, sie schaut hinaus auf den See. Leon folgt ihrem Blick und entdeckt im Wasser kopfunter einen Körper. Er erschrickt. Die Haltung der Person erinnert ihn an den toten Matthias Kluge, in der selben Position hatte er ihn vor drei Wochen aus dem See gezogen: Der Rücken wie bei einem Brustschwimmer auf Höhe der Wasserlinie, die Beine unter Wasser genauso wie das Gesicht, nur der Hinterkopf über der Wasserkante.
Erleichtert sieht er, wie sich die Arme des vermeintlichen Toten bewegen, die linke Hand fährt an den Kopf, streicht über den Schädel und richtet sich schließlich mit dem unverkennbaren voluminösen Körper des Herrn des Hauses auf. Er steht jetzt aufrecht im See, legt seine Haare zurecht und lächelt stolz zur Terrasse herüber, auf der Ines Schwanke sitzt.
»Schön, Schatz«, ruft diese, »komm jetzt, dein Ei ist fertig.«
Leon geht unbekümmert weiter. »Guten Morgen, Frau Schwanke«, setzt er sein freundlichstes Frauenverstehergesicht auf, »ich hoffe, ich störe nicht so früh am Morgen.«
Sie erschrickt, ist überrascht, greift schnell zu ihrem rosafarbenen Bademantel und zieht sich den dünnen Stoff über ihren knappen Bikini. »Ich weiß nicht«, antwortet sie unsicher und schaut zu ihrem Mann, der mit erhobenem Haupt zum Steg schwimmt.
»Ich weiß«, lächelt Leon bemüht, »es ziemt sich nicht um diese Zeit. Aber es ist nicht nur die Sehnsucht nach Ihrer Gesellschaft, sondern es ist sehr wichtig für Ihren Mann.«
Sie greift zu einem Badetuch und einem goldenen Bademantel neben sich und geht von der Terrasse Richtung Steg. Dort steigt Gunther Schwanke gerade die Leiter aus dem Wasser empor und erblickt Leon.
»Was will der Kerl schon wieder hier?«, ruft er sofort aufgebracht.
Ines Schwanke schaut bedauernd zu Leon, geht aber eilig weiter zu ihrem Mann. Fürsorglich legt sie ihm das Badetuch über die Schultern, er trocknet sich kurz ab und
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