Bombenbrut
ihn darauf hin, dass die enorme Bauweise des überdimensionalen Spiegels auf seinen Berechnungen beruht. Doch wie will er das beweisen, wie will er die Amerikaner verklagen? Verdammt. In welcher Patsche befindet er sich eigentlich? Was geht ihn dieser Scheißkrieg im All an? Er wollte doch nicht das All erobern, er wollte nur neue Planeten erkunden.
Herbert Stengele erinnert sich an die Begeisterung seines Vaters. Von ihm war er mit diesem Astronomie-Bazillus infiziert worden. Er war ein angesehener Dorfschullehrer in einem kleinen Ort im Linzgau. Seine Leidenschaft gehörte dem unendlichen Universum. Jede wolkenlose Nacht stand er auf der Terrasse ihres Lehrerhauses und spähte durch ein riesiges Fernrohr in die unendliche Dunkelheit.
Am 7. Oktober 1957 weckte er seine beiden Söhne und ging mit ihnen auf den Balkon. Feierlich versprach der Vater: »Ihr werdet heute Nacht etwas ganz Besonderes, noch nie Dagewesenes sehen«, erinnert sich Herbert Stengele an seine entscheidenden Stunden, die sein Leben bestimmen sollten.
Er war gerade in die Schule gekommen, schloss aber gekonnt sein linkes Auge und drückte sein rechtes an das Okular des väterlichen Fernrohrs. In über tausend Kilometer Höhe sah er einen vermeintlich blinkenden Stern. Aus dem Dunkel des Alls winkte er ihm in regelmäßigen Zyklen zu, als würde er nur ihn meinen.
Sein Vater schwenkte das Fernrohr langsam dem sich bewegenden Leuchtkörper nach. Der kleine Herbert konnte nicht ablassen, er gab seinen Logenplatz nicht mehr frei und schaute dem Leuchten im All mit selbst leuchtendem Auge nach, bis der für ihn unbekannte Stern am Horizont verschwunden war.
»Das war kein Stern«, sagte sein Vater feierlich zu ihm, »was du gerade gesehen hast, das war Sputnik 1!«
Mit dem russischen Erdsatelliten Sputnik 1 begann im Oktober 1957 das Zeitalter der Raumfahrt. Für den kleinen Herbert eine wahre Sternstunde. Sein Berufswunsch war von nun an klar. Er wollte Astronom werden. Er wollte noch tiefer in den Weltraum sehen als der geheimnisvolle Sputnik und als sein Vater mit seinem alten Fernrohr. Er wollte neue Planeten erkunden und vielleicht sogar neue Galaxien entdecken. Das Fieber der Astronomie hatte ihn gepackt.
Er sah die Abenteuer vor sich, wie einst die Seefahrer zu Zeiten der Konquistadoren auf ihren Erkundungsfahrten zu neuen Ländern. Er verschlang später die Bücher über Marco Polo oder Christoph Columbus. Doch die Kehrseite ihrer aufregenden Erlebnisse sah er damals nicht: Auf die Seefahrer, wie Columbus mit seiner abenteuerlichen Flotte, folgten bald die todbringenden Kriegsschiffe der Spanischen Armada. Das Königshaus hatte die Erkundung neuer Länder nur unterstützt, um diese danach zu erobern und auszubeuten.
Herbert Stengele machte sich als kleiner Junge darüber keine Gedanken. Er wusste damals nicht, dass mit dem Start des ersten russischen Sputniks, am 4. Oktober 1957, auch gleichzeitig das Wettrüsten im All gestartet war.
Denn die Amerikaner sahen weniger verzückt als Klein-Herbert dem russischen Sputnik und seinen Bahnen nach. Dieser verhasste feindliche Flugkörper flog, in einer für ihre Abwehrraketen unerreichbaren Höhe, über ihrem gottesfürchtigen Land. Dies galt in der Weltöffentlichkeit als Beweis für die Überlegenheit des marxistisch-wissenschaftlichen Systems über den freien Kapitalismus. Das durfte nicht sein!
US-Präsident Dwight D. Eisenhower erhöhte das Budget zur schnellen Entwicklung eines eigenen US-Erdsatelliten. Explorer 1 war der erste, der einen umfangreichen Reigen von US-Satelliten und Raumsonden eröffnete. Offiziell galt Explorer 1 der wissenschaftlichen Erforschung der internationalen Geophysik, tatsächlich diente er militärisch der geheimdienstlichen Luftaufklärung und der Vorbereitung eines neuen Rüstungsprogramms sowie zur Gründung der NASA.
Den Altnazi Wernher von Braun machten die Amerikaner zu ihrem Raketenmann, ihren Sergei Pawlowitsch Koroljow die Russen zum Vater der sowjetischen Raumfahrt. Die beiden standen für das Rennen um den ersten Platz im Weltall. Von Braun wurde dafür zum amerikanischen Staatsbürger, Koroljow von Chruschtschow zum Vater der Sowjetraketen ernannt.
Beide Regierungen hatten längst erkannt, dass in Zukunft Raketen in jedem konventionellen Krieg entscheidende Waffen sein würden und dass sie den Weg ins All öffneten. Das Bündnis zwischen Regierung und Raketenforschung wurde geschmiedet, mitsamt dem Schulterschluss zwischen Weltraumforschung und
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