Bombenbrut
dunkelhaarige Frau in einem dezenten, dunkelblauen Sommerkleid, die seine Hand hält. Im Gegensatz zu der Dame neben ihr wirkt sie wie eine graue Maus. Denn dort sieht Leon eine ziemlich aufgebrezelte Frau mittleren Alters, die vermutlich länger schon nicht mehr an ihr Geburtsdatum erinnert wurde. Sie hat sich aufgedonnert wie eine 17-Jährige vor ihrem Disco-Besuch. Verena Kluge trägt ihr lockiges, brünettes Haar zu einer Löwenmähne aufgeföhnt, ihr Gesicht ist braun gebrannt, ihre Augenlider hellblau geschminkt, die Lippen rot bemalt; um den Ausschnitt ihres roten Sommerkleides zu filmen, muss Simon seine Kamera unendlich tief schwenken.
»Dreh mir bitte mal ganz langsam die dritte Reihe da vorne: Ab dem Glatzkopf mit Tarnung auf der Platte neben der blonden Oma-Barbie und schön langsam weiter bis zu der brünetten Löwenmähne mit tiefem Ausschnitt.«
»Bin ich längst drauf, ich sehe doch, wo du hinstarrst.«
»Auch die Männer, du Bachel. Ich brauche von jedem ein Einzelporträt und einmal die gesamte Reihe mit einem gemütlichen Schwenk.«
»Von dem Glatzkopf bis zum Ausschnitt?«, wiederholt Simon fragend.
Neben Verena Kluge sieht Leon einen ebenso braun gebrannten, muskulösen Mann in Designerjeans und einem Lacoste-Hemd. Ihn kennt er nicht, doch er gehört offenbar zu der illustren Gesellschaft.
»Nimm den Gigolo daneben auch noch mit«, weist Leon Simon sicherheitshalber an, »der ist bestimmt auch ein Mitglied dieser ehrenwerten Waffenmafia.«
Nur der Mann neben der hochgestochenen Runde scheint für Leon endgültig uninteressant, den braucht er in seiner Sammlung bestimmt nicht. Er sieht aus wie der durchschnittliche Herr Mustermann. Er steckt in einem unauffälligen, blauen Zweiteiler von der Stange, seine Brille wirkt wie ein Krankenkassengestell, seine Augen flackern unruhig. Auffallend ist für Leon aber, dass der Mann mehr zu Verena Kluge schaut als zu den Festrednern. Er strahlt sie regelrecht an, den Mr Bodybuilder neben ihr mustert er dagegen mit finsterer Miene.
»Rechts daneben diesen Buchhalter in Blau bitte auch«, ändert Leon seine Anweisung, »der könnte auch wichtig sein.«
»Was brauchst du noch?«, fragt Simon.
»Das Buffet, ich habe einen Bärenhunger!«
»Wann nicht?«, lacht der Kameramann, »dich habe ich noch nie fasten gesehen.«
»Dann würde ich ja hungern«, wird Leon ernst, »mit Essen spaßt man nicht! Das hat mir schon meine Mutter verboten.«
Simon legt den Zeigefinger auf seine Lippen, im Festsaal wird es mucksmäuschenstill. Cornelius Dornier, der Enkel des geehrten Familienahnen, hat zu einer Gedenkminute für all die Pioniere aufgerufen, die für den Traum des Fliegens ihr Leben gelassen haben. Hinter ihm sieht man den Bundeswehr-Kampfflieger ›Alpha Jet‹ sowie die ›Do 31‹. Sie sind heute noch in Kampfgebieten im Einsatz.
Dann hört Leon das heiß ersehnte »Das Buffet ist eröffnet« und winkt seinem Team ungeduldig zu. »Dreh noch bitte, wie sich die feine Gesellschaft die Häppchen bunkert«, weist er Simon an, während er selbst gierig zu den ersten Schnittchen greift. Er hat einen Riesenhunger, seit dem Frühstück hat er nichts mehr bekommen. Schnell beißt er in das erste Kanapee, mit feiner Gänseleberpastete und einer Schlangengurke obenauf, da hört er hinter sich: »Ach, der Herr Dold ist auch da.« Trotzdem schiebt er noch den Rest des Häppchens in seinen Mund und hört den Störenfried weiter lästern: »Politiker und Journalisten wissen doch immer, wo öffentliche Tröge stehen.«
Verlegen dreht sich Leon um. Markus Kluge grinst, mit seiner grauen Maus an der Hand, über sein braun gebranntes Gesicht. »Darf ich vorstellen, das ist Iris, meine Freundin.«
»Iris Köppke«, stellt sie sich selbst vor und reicht Leon die Hand.
Er sieht die Frau jetzt erstmals aus der Nähe und korrigiert sein erstes Urteil. Sie ist zwar einige Jahre deutlich älter als Markus, aber durchaus attraktiv. Sie hat eine natürliche Ausstrahlung, benutzt kein Make-up, nicht einmal ihre Lippen sind bemalt. Der Farbton ihres dunkelbraunen, burschikosen Kurzhaarschnitts scheint sich mit der Augenfarbe abgestimmt zu haben. Offen und zuvorkommend lächelt sie Leon an.
Er wischt seine Hand, mit der er eben das Kanapee in den Mund geschoben hat, an einer Serviette ab, schüttelt ihre auffallend große und starke Hand und sieht die gesamte Kluge-Schwanke-Familie hinter den beiden versammelt.
»Meine Mutter«, stellt Markus Verena Kluge vor, die Leon sofort
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