Bombenspiel
Faustabwehr nach einem Schuss von Philipp Lahm beobachtet und sofort registriert, dass der Kapitän von Hannover 96 seine Hand nicht richtig stabilisiert hatte und ihm das Gelenk nach hinten weggeknickt war. Sekunden später hatte er den Verletzten untersucht und einen Bruch an der Handwurzel vermutet. Seine Einschätzung wurde am nächsten Tag von der Kernspintomografie bestätigt: Das Kahnbein der linken Hand war gebrochen, und die Verletzung somit schwerwiegender als es zunächst ausgesehen hatte.
»Wie lange fällt er aus?«, hatte der Trainer seinen ersten Mannschaftsarzt genervt.
»Rechne mal mit mindestens acht Wochen«, hatte Maier-Fuchsberger geantwortet. »Das hängt davon ab, ob ein Gips genügt oder eine Operation nötig ist. Das muss ein Spezialist entscheiden. Ich habe Dr. Goldbäck schon angerufen.«
»Fred Goldbäck?« Der Coach kannte den Mediziner aus seiner Zeit in Freiburg.
»Ja, Fred Goldbäck«, nickte Doc Fox und lachte. »Er war zwei Jahre Assistenzarzt in meiner Sportklinik. In den vergangenen Jahren hat er sich einen hervorragenden Ruf als Handspezialist erworben.«
»War er nicht Mannschaftsarzt in der Volleyball-Bundesliga?«
»Genau. In Friedrichshafen. Und wenn wir die Qualifikation schaffen, ist er unser Ersatzdoc in Südafrika. Falls mich ein Krokodil frisst oder so …«
»Na ja, malen wir den Teufel lieber nicht an die Wand. Was mir mehr Kopfzerbrechen macht, ist die Torhüterfrage gegen Russland«, hatte der Trainer laut gedacht und natürlich von Doc Fox keine Antwort erwartet.
»Adler oder Wiese. Wer denn sonst?«, meinte der zu seiner Überraschung und klopfte ihm dabei lachend auf die Schulter.
Doc Fox war froh, dass er diese Entscheidung nicht zu treffen hatte und sich Löw und Torwarttrainer Andreas Köpke darüber den Kopf zerbrechen mussten. Er hatte den Coachs lediglich bestätigt, dass Adlers Schulterverletzung kein Problem mehr darstellte und aus medizinischer Sicht grünes Licht für dessen Einsatz gegeben.
Dies ging dem Arzt durch den Kopf, als er jetzt im ausverkauften Dortmunder Signal-Iduna-Park, dem legendären ehemaligen Westfalenstadion, das Spiel gegen die Russen beobachtete und dabei den deutschen Keeper nicht aus den Augen ließ. Nur zwischendurch schielte er nach dem Trainer, der heute im braunen Rollkragenpullover und ohne den gewohnten Schal zum Spiel erschienen war und sich mit Hitzlsperger statt Frings für einen gewagten Personalwechsel entschieden hatte.
Keine vier Minuten lief das Spiel, als es auch schon eng für Adler wurde. Jedoch wurde aus der Torchance für die Russen durch Pogrebnyak nichts, weil der eine Hereingabe von Zhirkov über das Tor drückte.
Bereits in der neunten Minute klopfte der Doc sich erfreut auf die Schenkel, als Lukas Podolski einen Steilpass von Miroslav Klose mit dem Rücken zum Tor annahm, zwei russische Abwehrspieler stehen ließ und das erste Tor erzielte.
Doch die Verteidigung der Deutschen erschien Doc Fox heute unsicher, wobei er das nicht professionell einschätzen konnte. Er fieberte förmlich einem größeren Vorsprung entgegen, um René Adler etwas Luft zu lassen. 20 Minuten wurde seine Geduld auf eine harte Probe gestellt, dann endlich legte der Kapitän aus kurzer Distanz zum 2:0 nach.
Als der Schiri zur Halbzeit pfiff, atmete der Mannschaftsarzt auf.
In den zweiten 45 Minuten musste René Adler doch noch einen Treffer der Russen durch Stürmerstar Andrej Arschawin einstecken, der schließlich auch noch dafür sorgte, dass Michael Ballack mit einer verletzten Wade vom Platz humpelte.
René Adler hatte sein Können unter Beweis gestellt und den Ausgleich mit seiner Klasse vereitelt, allerdings auch eine Portion Glück genossen, als Alan Dsagojew kurz vor dem Schlusspfiff nur den Pfosten traf.
Doc Fox klopfte dem Debütanten im deutschen Tor auf die Schultern, als er den Platz verließ. Auf der Homepage des Focus war kurz nach dem Spiel von einem Weltklassekeeper zu lesen, der ›auch noch in den hitzigsten Situationen eiskalt seine Kunst beherrscht‹.
Könnte von mir sein, der Satz, dachte Doc Fox, der sich zu diesem Zeitpunkt schon wieder ernsthafte Sorgen um die Wade Ballacks machen musste. Die Enge in seinem Brustkorb ignorierte er.
Montag, 13. Oktober 2008, Durban - Noch 605 Tage
Die Baustelle lag verlassen da. Nur in einem der Container vor dem Stadion brannte Licht, dessen Schein aber nicht nach außen drang, weil die Männer im Innern die Jalousien heruntergelassen hatten. Der
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