Bombenspiel
Maschinenbauingenieur Paul Dhlomo, der Sicherheitsbeauftragte uThembani Mthetwa und der indische Softwareadministrator Raghunandan Rajah warteten.
»Gehen die Uhren in Dubai etwa anders?«, Mthetwas Frage verriet seine Ungeduld, »oder gibt es hier zu wenig Hochhäuser, um sich zurechtzufinden?«
»Schon da!«, erklang jetzt eine Stimme von der eben geöffneten Tür.
»Komm rein und mach die Tür zu!«, fauchte Mthetwa zornig, nachdem ein Mann mit arabisch geschnittenen Gesichtszügen und langem Kaftan eingetreten war.
Abdulrahman bin Hadid hatte die Kufija um den Kopf geschlungen, seine scharf geschnittenen arabischen Züge erinnerten an das Gesicht eines Falken. Die Nase war schmal und spitz, fast schnabelförmig gebogen, die Augen schwarz wie Kohle, der Blick stechend, streng, berechnend. Haare und Ohren wurden durch das Tuch verdeckt, der klassisch geschnittene gepflegte Bart, der Wangen, Kinn und die Mundpartie wie eine scharfe Tuschezeichnung einrahmte, ließ ihn um Jahre älter wirken.
Der arabische Baustatiker war erst jetzt endgültig nach Durban gekommen, weil die statischen Berechnungen beim Bau des Wolkenkratzers Burj Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten alles andere als einfach gewesen waren. Die Stararchitekten hatten sich für ein asymmetrisches Bauwerk entschieden, das sich trotz seiner enormen Höhe, die noch während des Baus als Geheimnis gehütet wurde, durch Leichtigkeit und schlichte Eleganz auszeichnete, und das bei einer Fassade, die immerhin die Fläche von etwa 17 Fußballfeldern umfasste. Dazu kamen Unmengen von Beton und die extrem hohen Außentemperaturen, die eine besondere Qualität und Verarbeitung des Edelstahls erforderten. All diese Details und die Tatsache, dass der Megatower in seiner Spitze nicht mehr als einen Meter schwanken sollte, waren große Herausforderungen bei den statischen Berechnungen des Baus.
Dieser Wolkenkratzer überragte alles, was es in der Welt an Türmen und Hochhäusern bislang gab. Selbst die hoch aufragenden Emirates Towers, bisher Wahrzeichen von Dubai City, oder das Burj Al Arab, ein einem geblähten Segel nachempfundenes Sieben-Sterne-Hotel der Superlative, wirkten sich im Vergleich zum Burj Dubai wie Kinderspielzeug aus.
Abdulrahman bin Hadid war der zweitälteste Sohn des Sheiks der Bani Owaddin, er wuchs mit den Traditionen seines Landes auf, jagte mit Falken und ritt die stolzen Araberpferde. Sein Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann, der großes Ansehen genoss und seine beiden Söhne nicht nur streng nach den Regeln des Korans erzog, sondern ihnen auch eine umfassende Schulbildung und ein Studium in England ermöglichte.
Während sein Bruder, ein stiller und zurückgezogener, ja in sich gekehrter Student, sich allen Regeln der westlichen Welt unterwarf, begehrte der freiheitsliebende und stürmische Abdulrahman gegen die Traditionen des Abendlandes auf. Sein Bruder legte die arabische Kleidung ab, schnitt sich den Bart und trug Jeans und dunkle Anzüge.
Abdulrahman nahm es in Kauf, in den Straßen Londons im Kaftan aufzufallen und sich durch die muslimischen Gebetsrituale und das Einhalten des Ramadan dem Spott seiner Kommilitonen auszusetzen. Als sie ihn während des Fastenmonats zu Alkoholkonsum zwangen und ihm unter Gewalt Gin und Archer’s einflößten, schwor er bittere Rache.
In jener Nacht fischte ihn Paul Dhlomo aus einer Kneipe in Soho und nahm ihn mit zu sich. Mit Paul blieb er in engem Kontakt, auch nachdem er in den Emiraten dank der Beziehungen seines Vaters für das Burj-Dubai-Projekt als einer der beiden Chefstatiker ausgewählt wurde. Im Januar 2004 hatten sie mit dem Bau begonnen. Abdulrahman bin Hadid nützte die Verbindungen, die er in der Unterwelt Londons geknüpft hatte, auf seine Weise.
Nachdem die Auslosung der WM für Südafrika erfolgt war und die Aufträge für die Stadien in Kapstadt, Pretoria und Durban ausgeschrieben waren, holte Paul Dhlomo Abdulrahman in sein Team. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete der Araber für Architekturbüros in der ganzen Welt als freier Statiker. Doch das war nur die eine, offizielle Seite seines Lebens. Die andere blieb selbst seinem Vater verborgen und nicht einmal seine engsten Freunde ahnten etwas davon.
»Wir werden den 11. September in den Schatten stellen«, hatte Dhlomo gesagt. »Wenn du willst, bist du dabei.«
Und Abdulrahman bin Hadid wollte.
Bis auf Paul Dhlomo, mit dem er auf dem Containerschiff im Hafen von Durban die Bomben eingebaut hatte, war
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