Bombenspiel
Blick auf seinen Monitor zeigte aber, dass diese Änderungen genau so eingeplant waren. Er griff zu den Ordnern, wo er die Pläne, in allen Phasen dokumentiert, ausgedruckt aufbewahrte. Der Plan vom Dezember 2007 zeigte nichts dergleichen.
Der deutsche Ingenieur griff zum Telefon und rief das Büro von Michael Fugger, Lead Construction Inspector des WM-Stadions in Durban, an. Doch Fugger war mit einem Delegationsteam der FIFA auf der Baustelle unterwegs. Seine Sekretärin stellte ihn zu seinem Stellvertreter, Gys de Kock, durch. Der war gestresst und hatte wenig Zeit. Die Vorsitzende der strategischen Projektgruppe für die WM-Vorbereitungen der Stadt Durban wartete auf ihn, um über den aktuellen Stand des Baus informiert zu werden. Er ließ Fries nicht mal ausreden, würgte ihn rüde ab und bezeichnete ihn als eitel und gekränkt. Dann sagte er, scheinbar ohne dabei Luft zu holen: »Sie sollten sich damit abfinden, dass sich die Verantwortlichen auf die überarbeiteten Pläne des Chefstatikers geeinigt haben. Akzeptieren Sie das einfach und versuchen Sie nicht, mir noch mehr Stress zu machen, als ich ohnehin schon habe! Wir werden den Bau keine Sekunde aufhalten, um Ihren Hirngespinsten nachzugehen. Die ganze Welt schaut auf uns und auf die pünktliche Vollendung der Stadien. Durban gilt als das Juwel der WM und wir sind der Konkurrenz weit voraus. Das lasse ich mir nicht von Ihnen kaputt machen!«
Fries blieb keine Chance für einen Einwand, denn Gys de Kock hatte wütend aufgelegt.
Henning Fries traf auf der Baustelle ein, als der Lead Construction Inspector einen Überblick über den aktuellen Stand der Arbeiten gab. Er mischte sich unter die Besucher und kam gerade rechtzeitig, um das Lob für die am Stadionbau beteiligten Teams mitzubekommen.
»Die zahlreichen tragenden Strukturen des Stadions sind zum größten Teil fertiggestellt«, erklärte der Inspector, »Stützmauern, Pfahlkonstruktionen, Säulen und Bodenträger auf jeder Ebene. Insgesamt ist das Projekt schon zu etwa 65Prozent abgeschlossen, das heißt, wir sind dem Zeitplan und unserer Konkurrenz auf den anderen Stadionbaustellen weit voraus. Aber auch die externen Arbeiten sind im Soll. Abwasserkanäle, Parkgaragen und Sanitärbereiche laufen wie geplant. Sogar mit einzelnen Abschlussarbeiten wie Verputz, Fassaden, Türen und Fenstern haben wir in verschiedenen Abschnitten schon beginnen können. Derzeit werden die Betoneinbringungen für die Sitzplatzfertigteile erstellt, und Sie sehen, dass auch die Arena langsam Formen annimmt. Schauen Sie sich um.« Beifälliges Nicken der Delegation war die Antwort, doch Fugger trumpfte noch weiter auf: »Sie sehen an den beiden Längsseiten schon die ersten Bogenteile des Skywalk, das Herzstück unseres Stadions, in den Himmel ragen. Der Kompressionsring, auf dem er aufliegt, und der um den gesamten Dachumfang verläuft, ist zur Hälfte fertiggestellt.« Alle reckten die Hälse, um die Anfänge der Bogenkonstruktion zu bestaunen. »Schon jetzt«, betonte Fugger abschließend, »kann das Stadion-Team dieser Stadt mit Fug und Recht stolz auf diese großartige Arena sein. Eine atemberaubende Spielstätte, ein architektonisches Meisterwerk, ein Juwel für Afrika. Und wir können davon ausgehen, dass das Stadion noch vor der von Ihnen gestellten Deadline im Oktober 2009 fertiggestellt sein wird.«
Beifall brandete auf.
Henning Fries ging das alles viel zu glatt. Warum hörte niemand auf ihn? Warum nahm keiner seine Warnung ernst? Die Antwort hatte er gerade bekommen: Was zählte, war nur der Ehrgeiz der Macher. Die eben verklungenen Worte verdichteten sich in seinen Gedanken und mischten sich mit dem Lärm der Baustellenfahrzeuge, die nun wieder ihre Arbeit aufnahmen, zu einer schmerzenden Kakofonie: Projekt abgeschlossen – atemberaubende Spielstätte – der Konkurrenz weit voraus – architektonisches Meisterwerk – vor der Deadline fertiggestellt – Juwel für Afrika.
Henning Fries verließ die Arena.
Samstag, 11. Oktober 2008, Dortmund - Noch 607 Tage
Doc Fox hatte vor zwei Tagen mal wieder auf Anhieb die richtige Diagnose gestellt: Die Hand des deutschen Torhüters Robert Enke war gebrochen. Ärgerlich, dass das Ganze ausgerechnet im Geheimtraining der DFB-Auswahl vor dem Spiel gegen Russland passiert war, und die deutsche Elf somit ohne länderspielerfahrenen Torhüter gegen einen als gefährlich eingestuften Gegner antreten musste.
Der Mannschaftsarzt der deutschen Elf hatte Enkes
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