Bonbontag
... dass es nicht ... klappt«, sagte Tomi gedämpft.
»Oder deine Mutter.«
»Die kriegt einen Anfall ...«
»Warum?«, brauste Ari auf, obwohl er es wusste.
»Die können ja nichts dafür.«
»Du kannst aber auch nichts dafür.«
Wieder das Schulterzucken.
Sie gingen ein Stück weiter.
»Ich hab versucht anzurufen«, sagte Tomi. »Bei Mama.«
»Wann?«
»Als du da in der Küche warst ...« Tomi deutete ungefähr in die Richtung des Hauses, in dem Aris Mutter wohnte.
»Hat sich deine Mutter nicht gemeldet?«
»Sie hat mir eine SMS geschickt.«
»Und?«
»Ob ... ob’s ein Problem gibt. Ich soll simsen.«
»Was hast du geantwortet?«
»Na ja ... ich ... weiß nicht. Eigentlich gibt’s ja keins. Da hab ich bloß geschrieben ... nein.«
Ari hätte am liebsten protestiert, aber das schien ihm nicht gerecht zu sein.
Eine Weile gingen sie im Gleichschritt. Marschierten dem entgegen, was unausweichlich bevorstand.
Tomi fragte nicht, ob er noch eine Nacht bei Ari bleiben konnte. Er brauchte es nicht zu formulieren, er selbst war diese Frage.
»Es ist nämlich so ...«, sagte Ari und suchte nach Worten. »Es ist nämlich so, dass du eigentlich nicht mehr über Nacht bei mir bleiben kannst. Weil nämlich ... Da könnte man mir vorwerfen ... dass ich was tue, was nicht richtig ist.«
»Dass du schwul bist oder so?«
»So in der Art.«
Tomi sah Ari an. Etwas geschah. Etwas ging zu, schloss sich. Tomi sah ihn an wie einen Unbekannten.
»Musst du anrufen ... bei denen?«
»Bei den Sozialmiezen, meinst du?«, versuchte Ari scherzhaft abzufedern, aber Tomi blieb ausdruckslos. »Ja ... vielleicht. Was meinst du?«
Tomi rührte sich nicht, schaute nur geradeaus, dorthin, wo Mirabella wartete.
»Okay ... halt ... Aber jetzt gehen wir erst mal weiter, ja?«
»Wir gehen zu Mirabella ... aber ...«
»Kein Aber«, murmelte Tomi. »Sagt der Mutant immer.«
»Ein kleines Aber gibt es schon«, sagte Ari. Er streckte den Rücken durch, bemühte sich um einen forschen Ton. »Ehrlich gesagt kam da vorhin ein Anruf vom Sozialamt.«
»Die Sozialmiezen haben angeklingelt ...« Ein flüchtiges Lächeln ging über Tomis Gesicht.
»Und ...«, fuhr Ari fort, in dem Versuch, den richtigen Ton beizubehalten. »Jemand von dort wird in meine Wohnung kommen. Dann klären wir den Fall. Nicht wahr?«
Tomi antwortete nicht.
»Dann versuchen wir mit ihnen zusammen, deine Mutter oder deinen Vater zu erreichen.
»Ja, ja«, sagte Tomi. »Ganz egal.«
»Ganz egal?«
»Ich will bloß Mirabella sehen ... ob sie okay ist«, sagte Tomi. »Und ...«
»Und was?«
»Nichts«, antwortete Tomi, mit zitternder Stimme. »Weil die Oma jetzt ... da werden Mira und ich uns sicher eine Zeitlang nicht sehen.«
Es waren noch hundert Meter bis zu dem Haus.
Ari war unbehaglich zu Mute. Er kam sich dumm vor. Verkrampft. Was taten sie hier? Baten ein kleines Mädchen heraus. Was hatte er dabei verloren?
»Werde ich dabei eigentlich gebraucht?«, fing er an. »Ich meine ... Ich könnte ja warten ... zum Beispiel hier in der Anlage.«
»Die hauen mich«, schrie Tomi auf.
Ari überlegte.
»Und wenn ich bis zur Haustür mitkomme?
Tomi sagte weder ja noch nein.
»Woran denkst du?«, fragte Ari.
»Die ist ziemlich ... die ist so ...«
»Wer?«
»Die alte Hexe.«
»Bitte?«
»Ihre Mama ... Mirabellas Mutter.«
»Wie ist die?«
»Ein bisschen ... so wie gemein ...«
»Hast du Angst vor ihr?«
Tomi zuckte mit den Schultern. Das hieß ja. Man musste das Gesicht wahren, auch als kleiner Junge.
Ari gab nach. Er hatte es versprochen. Allerdings würde er sich im Hintergrund halten, zum Beispiel ein halbes Stockwerk weiter unten warten. Sie würden nur die Lage überprüfen. Falls Mirabella herauskäme, sollte eine halbeStunde reichen. So lange würde Ari in der Nähe warten, aber kein bisschen länger. Dann musste Tomi mit ihm kommen, um mit den Leuten vom Sozialamt zu reden.
»Einverstanden?«, versicherte sich Ari.
»Einverstanden«, sagte Tomi. Erstaunlich widerstandslos.
Ahnte er, dass es so nicht ablaufen würde?
Nicht einmal annähernd so, würde Ari in seinem Roman schreiben.
15
Hört das denn nie auf, dachte Paula.
Sie war zum dritten Mal an den Straßenrand gefahren. Hatte den Kopf aufs Lenkrad gelegt und die Augen geschlossen. Hatte eine Minute oder zwei geschlafen oder vielleicht auch nur ein paar Sekunden.
›Eine Mutter liebt ihr Kind wie sich selbst. Wie das Abbild ihrer selbst.‹ Unfug. Wirres Denken. Nicht einmal
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