Bonbontag
»Wenn man mich fragt.«
Paula näherte ihr Gesicht der Frau und blickte auf das Namenschild an deren Brust.
»Zum Glück fragt man Sie nicht ... Ellen«, erwiderte sie.
Als Erstes kam der Adrenalinrausch. Paula war so erschöpft und die Aufgabe so unmöglich, dass sie wie mit überhöhter Drehzahl lief. Erkki Saari saß blass auf seinem Stuhl. Paula konnte sich kaum auf dem in die Ecke gezwängten Sesselhalten. Sie redete wie eine Sektenpredigerin. Glitt teilweise in die Fiktion ab. Sprach von Dingen, die sie nichts angingen.
Dann machen wir den Laden eben für den Rest des Tages zu.
Sämtliche Mitarbeiter, alle Aushilfen und meinetwegen auch die Putzfrauen werden für den Abend einbestellt, und dann wird geschuftet, wenn es sein muss die ganze Nacht. Die Hälfte der Waren kommt in den Müllcontainer.
Als wäre hier nicht sowieso schon alles durcheinander. Das Bier wird zur falschen Zeit verkauft und garantiert an die falsche Kundschaft. Warum ist es nicht gemäß den Vorgaben zwei Cent teurer als beim Konkurrenten nebenan? Und warum werden die Süßigkeiten in einer Ecke versteckt?
Ohne Kündigungen wird es nicht gehen. Ich besitze die Vollmacht, die gesamte Belegschaft auf die Straße zu setzen, wenn es sein muss.
Saari hatte eine weiche, irgendwie beruhigende Stimme, es war angenehm, ihm zuzuhören. Obwohl er unbegreifliches Zeug brabbelte.
Dass der Alkoholiker seine Katerflasche kriegen soll.
Dass man die Süßigkeiten nicht aufdrängen wolle, dass es so unschön sei, sich die ewigen Kämpfe zwischen Eltern und Kindern an der Kasse anzuhören.
Paula merkte an, dass ein Geschäft legal verkäufliche Ware nicht verstecken dürfe, die Leute sollten selbst entscheiden und so weiter. Und darf es nicht vielleicht sogar ein bisschen in Richtung Versuchung gehen?, fragte sie.
Sie versuchte angestrengt, ihre Verblüffung zu verbergen, als Saari meinte, er habe sich ziemlich ausführlich mit dem Bezirksleiter unterhalten. Man sei zu der Auffassung gelangt, dass man aufgrund eines gegenseitigen Missverständnisses die Arbeit nicht früher in Angriff genommen habe.
»Stimmt schon, das ist hier ein bisschen ...«, stotterte Saari. »Stimmt schon, dass das den Charakter der Filiale verändert.«
Warte nur ab, Erkki, bis du in zwei Monaten von der weiteren Planung erfährst. Öffnungszeiten sieben, Schrägstrich, vierundzwanzig und das Sortiment noch einmal halbiert. Das Personal wahrscheinlich auch.
Plötzlich fühlte sich Paula schwach, ihr wurde schwindlig. Sie werde jetzt ein bisschen was ausmessen, stammelte sie. Und sich eine Kleinigkeit zu essen holen. Kaufen, korrigierte sie und lächelte gezwungen. Es wurde eine schreckliche Grimasse.
Sie taumelte durch die Schwingtür in den Laden. Jetzt galt es, den Blutzuckerspiegel nach oben zu bringen.
Na, sie wusste schon, was sie suchte, schnappte sich eine Handvoll Schokoriegel und torkelte zum Bezahlen wie eine Betrunkene.
Madame Ellen zwängte sich eigens hinter die Kasse, nannte den Preis, schaute Paula kalt an. Paula bezahlte und schaute noch kälter zurück.
Sie huschte aus dem Laden, ging um die Ecke, aß den ersten Schokoriegel. Den zweiten gleich hinterher. Sie biss auch noch vom dritten ab und steckte den Rest in ihre Handtasche.
Was war das für ein Geräusch? Es kam aus der Tasche, gedämpft. Ein Klingelton.
Sie wühlte das Telefon hervor. Nein, das falsche. Mirjas Handy, ganz unten, der Handy-Schmuck in Sternform hatte sich im Futter der Handtasche verhakt.
Endlich bekam Paula das Handy frei und schaute aufs Display.
DK.
Was für ein DK?
Paula stellte die Verbindung her, den Mund voller Schokolade. Sagte nichts, konnte nichts sagen.
»Hallo ...«, wurde am anderen Ende der Leitung gesagt. Es war die Stimme eines Kindes.
»Also, ich ... wollt bloß mal fragen ... ob du vielleicht rauskommst ... oder ob ich ...«
Paula schluckte das letzte Stück Schokolade herunter.
»Mira?«, fragte die Stimme und klang plötzlich unsicher.
Es war der Junge.
»Versuch’s noch mal«, sagte Paula.
Sofort wurde die Verbindung unterbrochen.
Paula sah sich das Handy genauer an.
Nicht angenommene Anrufe ... Gleich mal den Ton lauter stellen. Solche Anrufe dürfen nicht verpasst werden.
Kontrolle. Aufdeckung des Vertrauensbruchs. Konsequenzen. Wiederherstellung des Vertrauens.
14
Schönheit als Schönheit zu erkennen setzt einen gewissen Abstand voraus.
Das klang für Erkki Saari erstaunlich tröstlich. Er hatte es am Morgen im Radio
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