Bone 01 - Die Kuppel
einmal in die Arme geschlossen. Er war jetzt der Häuptling, dachte Stolperzunge, er durfte nicht mehr zeigen, dass er seinen Bruder gegenüber irgendeinem anderen Jäger begünstigte. Vielleicht fühlte er sich auch unwohl, denn seine Haut glänzte vor Schweiß, als wäre auch er soeben von einem Jagdzug zurückgekehrt. Schließlich stieg er auf einen mit Fellen bedeckten Steinblock, wie es auch Speerauge zu besonderen Anlässen getan hatte, und wies Moosherz an, ihnen Schalen mit Wasser zu bringen. Stolperzunge bemerkte, dass ihr Bauch sichtlich größer geworden war. Er sah sie grinsend an, aber sie reagierte nicht darauf und ging sofort wieder.
Dann berichteten die beiden Jäger Wandbrecher ausführlich, was sie beobachtet hatten. Er überraschte sie, als er schließlich lächelte.
»Das sind gute Neuigkeiten, meine Freunde. Die Lage ist gar nicht so schlimm, wie ihr glaubt.« Er stieg von Speerauges Sitz herunter und zeichnete Figuren in den Boden. »Wir sind hier…« Er machte ein Kreuz. »Die Panzerrücken und ihre Hüpferfreunde sind von hier gekommen …« Noch ein Kreuz. »Jetzt sind sie in die Gebiete der Haarigen und der Zartlinge eingedrungen und durch die Menschen und die Krallenleute vom Heimweg abgeschnitten. Das ist dumm. Ziemlich dumm! Sie müssen sich für so mächtig wie Geister halten.«
»Aber es sind doch so v-v-viele«, sagte Stolperzunge. »D-drei V-v-völker. Und sie haben schon v-viele von unseren Jägern g-g-getötet.«
»Sicher«, sagte Wandbrecher, »aber jedes Mal, wenn sie gegen jemanden kämpfen, verlieren sie ein paar von ihren eigenen Leuten. Selbst die Zartlinge müssen ein paar getötet haben, als sie überfallen wurden. Und die Haarigen haben ihnen ohne Zweifel Verluste zugefügt. Unsere Feinde haben die Dummheit begangen, zu viele Leben zu opfern. Schließlich werden wir diejenigen sein, die ihnen den Rest geben!«
»Es gefällt mir, wie du von ihrer Dummheit sprichst«, sagte Steingesicht, »obwohl ich Panzerrückenfleisch nicht ausstehen kann.«
»Du wirst dich an den Geschmack gewöhnen müssen«, sagte Wandbrecher. »Genauso wie wir alle.«
Seine Zuversicht war ansteckend. Steingesicht ging grinsend und würde die guten Neuigkeiten sicherlich überall verbreiten. Stolperzunge blieb noch eine Weile. Er wollte mit Wandbrecher über die Gerüchte im Zusammenhang mit Indrani sprechen, um seinem Bruder zu versichern, dass sie kein Fünkchen Wahrheit enthielten. Doch er erhielt keine Gelegenheit dazu.
»Jetzt nicht, Bruder«, sagte der Häuptling. Die Zuversicht, die er vor Steingesicht gezeigt hatte, war schlagartig verschwunden. »Ich muss mich mit meinen besten Kriegern über den bevorstehenden Kampf beraten.« Er winkte mit dem Handrücken in Stolperzunges Richtung. »Wir müssen an einem anderen Tag reden.«
Stolperzunge blieb keine andere Wahl, als nach Hause zu gehen. Unterwegs spürte er, wie sich seine Eingeweide verkrampften.
Indrani wartete mit dem gerösteten Fleisch einer Wasserbestie auf ihn. Er schaute sie an, blickte ihr aufmerksam in die Augen, und sie blickte zurück, tief in seine Augen. Sie war nicht Moosherz. Moosherz hatte keine so hübschen Wangenknochen und auch kein schwarzes Haar, das glänzte, obwohl es immer noch recht kurz war. Moosherz hatte schiefe Zähne wie jede normale Frau. Sie hatte in ihm immer nur einen Weg gesehen, der zu Wandbrecher führte.
Er ging mit seinem Essen nach draußen, um den Bann zu brechen. Als er im Hauseingang saß, folgte Indrani ihm und quetschte sich neben ihn. Er hätte sie wegstoßen sollen. Aber wie sollte er es ihr erklären? Bisher hatte es ihm nichts ausgemacht. Bisher war er sich ihrer Gegenwart noch nie so bewusst gewesen wie jetzt. Als sie gemeinsam aßen, beobachteten die Leute sie flüsternd.
Stolperzunge versuchte sich abzulenken, indem er ihr erzählte, was er in Krallenleute-Wege gesehen hatte. Ihre Sprache hatte sich weiter verbessert, und diesmal glaubte er, dass sie zwar nicht alles, aber doch das meiste von dem verstand, was er sagte. Nicht dass es ihr etwas bedeutete. Jedes Mal, wenn er angefangen hatte, ihr von der Jagd zu erzählen, hatte sie mit gebrochenen Worten erwidert, dass sie nichts darüber hören wollte. »Will dich nicht sprechen über Tun von böse Männer«, sagte sie.
Heute jedoch aß sie das Fleisch und hörte zu. Offenbar spürte sie seine Besorgnis. Nach einigen Minuten wechselte ihr Gesichtsausdruck von Besänftigung zu Entsetzen. Sie sprang wie ein panischer Zartling
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