Bonita Avenue (German Edition)
neue Jenna Jameson», plapperte Rusty nach, was im Rolling Stone geschrieben stand, aber da lagen Rusty und der Rolling Stone daneben. Jameson war old school , eine altmodische queen of porn . Bobbi nicht. Bobbi besetzte diese Nische schon jetzt nicht mehr, Bobbi zerstörte Nischen. Obwohl ihre Filme deswegen nicht weniger hardcore wurden (sie gewann einen AVN-Award nach dem anderen), berührte dieses mysteriöse, tiefsinnig oberflächliche Mädchen eine Saite außerhalb des Valley. Meinungsmacher im Netz waren hin und weg von Bobbi, Topfotografen wollten sie als Model haben, Indie-Bands baten sie, in ihren Clips aufzutreten. Sie fand sich auf der Hülle der neuen CD von den Smashing Pumpkins wieder. Ein halbes Jahr ließ sie sich von einem Reporter der Los Angeles Times begleiten. Sie postete auf You Tube Videoblogs in pseudokünstlerischem artyfarty Schwarzweiß, Streifen, in denen sie in ihrem ungebändigten, ernsthaften Ton freimütig über das wilde Leben philosophierte, das sie führte. Und nun war sie also zu Gast bei Tyra Banks.
Als Bobbi uns nach diesem ersten Gespräch eine knöchrige Hand gegeben hatte und sich auf den Weg machte, begleitete ich sie die Holztreppe hinunter in die Lobby, hin- und hergerissen, ob ich dem Impuls nun nachgeben sollte oder nicht. Erst in der Tür, als sie ihr Handy nahm, um ein Taxi zu rufen, bot ich ihr an, bei mir zu wohnen, kostenlos, unverbindlich, damit sie sich ein wenig akklimatisieren könne. Sie sah mich erstaunt an und lehnte das Angebot freundlich dankend ab – auch wieder untypisch für diese Art von Leuten. Aber ich redete so lange auf sie ein, bis sie einverstanden war.
Warum? Im San Fernando Valley strandeten jedes Jahr Hunderte Bobbis, gescheiterte, unbesorgte, dumme, durchtriebene, abenteuerlustige, verdorbene, gekränkte Schlampen, die sich wie babyrosafarbene Kakerlaken auf die zahllosen Ein-Zimmer-Apartments verteilten, die zwischen dem Ronald Reagan Freeway und dem Ventura Boulevard für rund tausend Dollar zur Miete stehen. Trostlose, weiß gestrichene Condos, in denen sie entweder schwitzend oder frierend auf einer Walmart-Matratze liegen und auf den Anruf ihres Agenten warten, um schon am Tag drauf oder noch am selben Nachmittag in anonymen Villen mit potthässlichen Couchgarnituren in Filmen wie Share My Cock 12 oder Cum Dog Millionaire mitzuspielen. Vielleicht wollte ich ein solches Leben mal aus der Nähe beobachten. Vielleicht reizte das Mädchen mein Schwester-Gen, Material, das auf einem Hinterhof meiner DNA herumlag und vergammelte.
Bobbi blieb zwei Monate. Ich gab ihr ein großes Zimmer mit einem Balkon, der auf den Sunset rausging, sodass sie den Pazifik sehen konnte, und obwohl ich manchmal für sie kochte, Mahlzeiten, die nährreicher waren als die Tsatsiki-Pizzen, die sie sonst kommen ließ, und wir mindestens zehn Abende einander gegenüber an einem gedeckten Tisch saßen, wurden wir keine Freundinnen. Dafür schien sie zu verschlossen zu sein, oder aber sie fand mich einfach nicht interessant genug. Mit Mühe bekam ich aus ihr heraus, dass sie unter den Fittichen ihrer Mutter und eines zwei Jahre älteren Bruders aufgewachsen war. Ihr Vater war 1991 im zweiten Golfkrieg umgekommen, friendly fire , sagte sie trocken.
Sie selbst fragte mich am laufenden Band Dinge, aber das waren immer praktische Fragen, sogar wenn sie meine Vergangenheit betrafen. «Was hast du studiert?» «Könntest du auch ohne dein Studium Geschäftsführerin sein?» «Willst du irgendwann wieder zurück nach Deutschland?» «Benutzt du schon mal ein Klistier?» «Hat dieser Rusty eigentlich eine Familie oder so?» «Wie hast du es deinen Eltern gesagt?» «Was kostet dieses Haus?» «Wie bist du überhaupt in dieser Branche gelandet?»
Als ich diese letzte Frage beantwortete, indem ich ihr auf meinem Laptop die Handvoll Fotos zeigte, die ich noch aus meiner Zeit in Enschede besaß, musste sie lachen, gerührt, wie es schien, vielleicht auch spöttisch. «Das ist doch kein Porno», sagte sie.
Auf einem Hocker im Badezimmer, wo sie manchmal zwei Stunden lang im Whirlpool lag und ein Buch ihrer literarischen Abgötter las, die Tür offen, aber in absoluter Stille, stand eine Louis-Vuitton-Tasche, die sie zu den Sets mitnahm. Eines Abends nahm ich heimlich den Inhalt unter die Lupe: Waschlappen, Duschgel, Parfüm, Mundwasser, eine Tube Gleitmittel, Zahnbürste und Zahnpasta, Kondome, ein Ladekabel fürs Handy, Dildos in unterschiedlichen Farben und Größen, eine
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