Bonita Avenue (German Edition)
jetzt, da in einem der tausend Zimmer eine Black Box auf ihn wartet. Auf dem Weg in den vierzehnten Stock erfasst seinen Körper die feurige Hoffnung, dass die Scheibe nicht in der Tasche ist. Als der Aufzug anhält, hebt sich sein Magen trotzdem weiter.
In seinem Zimmer riecht es nach chemisch gereinigten Handtüchern. Das Bett, in dem er sich am Morgen eine Stunde lang schlaflos gewälzt hat, ist gemacht, sein Hemd und der Anzug, die er während des Flugs anhatte, hängen auf Bügeln im offenen Schrank. Der Laptop liegt nicht mehr auf dem Bett, sondern steht auf dem ovalen Schreibtisch neben der Sitzecke. Er versorgt ihn mit Strom. Um das Prickeln in seinem Magen zu betäuben, duscht er danach. Er wäscht sich mit der Lotion aus einem lila Beutelchen, das er mit den Zähnen aufreißen muss. Alles ist möglich, das braucht man ihm nicht zu sagen. Man kann auch zu den Olympischen Spielen fahren und dann doch nicht. Er trocknet sich mit dem größten der drei Handtücher ab und schlüpft in einen Bademantel. Man kann eine Klapperschlange zeugen.
Er stellt die Klimaanlage auf neunzehn Grad ein. Nimmt die Laptoptasche und setzt sich damit auf den Bettrand. Er kramt in den Seitenfächern und holt ein Mäppchen heraus, in dem sich nur drei CD-ROMs befinden. Zwei sehen unbeschrieben aus, auf der dritten steht mit schwarzem Filzstift «Protokoll U-Ausschuss». Bingo. Das ist sie. Er atmet tief ein und ballt die Fäuste. Steht auf, tritt ans Fenster, schließt die schweren Vorhänge, setzt sich wieder hin und schiebt die CD-ROM ins Laufwerk des Rechners. Windows ist hochgefahren, er gibt sein Passwort ein, zuerst verkehrt, er vertut sich mit den Großbuchstaben. Das Programm fragt, ob er die Diashow sehen will. Nein, keine Diashow, Windows ordnet die JPG-Dateien, kleine Icons, auf denen ein schwarzes Segelboot in einen orangefarbenen Sonnenuntergang hineinfährt. Es sind viele, vielleicht vierhundert. Ein Viertel davon hat er auf kostenlosen Seiten zusammengeklaubt, die übrigen stammen von der Homepage einer Russin und von lindaloveslace.com – die von Letzterer sucht er. Auf gut Glück klickt er auf eines der Icons und sieht die Russin mit gespreizten Beinen auf einem Sofa sitzen. Er spürt eine unbestimmte Erregung aufsteigen, das Echo der vertrauten Geilheit, der Geilheit eines alten, muffigen Affen.
Wo sind sie? Obwohl Durchklicken effektiver wäre, entscheidet er sich für die Diashow, das ist bequemer. Zunächst rast er wie ein Verrückter durch den Wald der Gratisfotos, danach kniet, beugt, liegt, hockt, fingert die Russin zügig vorüber – ja, da ist sie, beim ersten Foto, das er sieht, weicht er zurück. Sie steht mit einem Fuß auf einem verschnörkelten Stuhl, Ellbogen auf dem Knie, geschürzte Lippen, die Brüste in einem zartaltrosafarbenen BH. Keuchend vor Schreck, schiebt er den Laptop von seinem Schoß. Die Ähnlichkeit ist fataler als gedacht. Er geht zur Minibar und nimmt eine Dose Budweiser heraus. Dass sie einander ähnlich sehen, wusstest du schon. Er tigert auf dem weichen Teppich hin und her. Das Bier ist so kalt, dass ihm die Tränen in die Augen schießen. Du musst analytisch hinschauen. Wie ein Wissenschaftler. Wie ein Kriminalbeamter. Wie genau kennt er Jonis Figur? Schlanke, wohlgeformte junge Frauen unter fünfundzwanzig sind schwer zu unterscheiden. Aber das Gesicht …
Er setzt sich wieder hin. Analyse. Es ist gut, dass er die Fotos schon kennt. Weil er sie kennt, kann er sie distanzierter betrachten. Die erste Serie wurde in einem Hotelzimmer aufgenommen. Er muss nach dem Zimmer suchen, das immer wieder zu sehen ist, es gibt einen Ort, von dem er glaubt, dass er oft vorkommt. Ein Boot? Ja, es gibt auch eine Kajüte, eine wiederkehrende Kajüte … Eine Serie von dreizehn Fotos in stets demselben Zimmer, ganz offensichtlich kein Hotelzimmer, im Hintergrund ein Computer, ein bestückter Bücherschrank, Pflanzen, ein Poster mit zwei Katzen in einem Liegestuhl, Céline Dion, ein Dachfenster …
Linda. Linda aus Tennessee oder Kentucky oder Utah oder aus wer weiß was für einem obskuren Staat. Die Fotosession beginnt in einem roaring twenties -Outfit, einem ziemlich grünen kurzen Kleid und so einem schlaffen, roten Hütchen über den Ohren, weißen Satinhandschuhen bis zu den Oberarmen, knallroten Lippen – Gott, wie ähnlich sie Joni sieht. Dann wird das Kleid ausgezogen, sie steht mitten im Zimmer, in schwarzen Pumps mit einer Schleife auf der Spitze, weiße Strapse,
Weitere Kostenlose Bücher