Bonjour Tristesse
Gesicht,
verzweifelt, damit sie begriff, daß es um mehr ging als um ein Examen. Sie
sollte sagen: »Also was ist es?« Sie sollte mich mit Fragen quälen, mich
zwingen, ihr alles zu erzählen. Und natürlich würde sie mich dann überzeugen
und nach ihrem Willen entscheiden — aber dafür würden mich diese bitteren und
erniedrigenden Gefühle nicht mehr vergiften. Sie blickte mich forschend an, und
ich sah das Blau ihrer Augen, die dunkel waren vor Aufmerksamkeit und Vorwurf.
Und ich wußte, daß sie nie daran denken würde, mich auszufragen, mich zu
erlösen, weil die Idee ihr gar nicht käme und weil sie fand, daß man so etwas
nicht tut. Wahrscheinlich traute sie mir diese Gedanken, die mich verzehrten
und vernichteten, gar nicht zu, oder wenn sie es doch tat, so erweckten sie in
ihr nichts als Verachtung und Gleichgültigkeit. Und etwas anderes verdienten
sie auch nicht. Anne beurteilte die Dinge immer genau nach ihrer Bedeutung. Und
darum wurde ich mich niemals mit ihr verständigen können.
Ich warf mich mit einer heftigen
Bewegung wieder in den Sand und drückte meine Wange in die weiche Wärme des
Strandes, ich seufzte, ich zitterte. Ruhig und sicher legte sich Annes Hand auf
meinen Nacken und hielt mich einen Augenblick lang unbeweglich fest, bis mein
nervöses Zittern wieder nachließ.
»Kompliziere dir dein Leben nicht«,
sagte sie, »du warst immer so zufrieden, so voll von Leben, du hast dir über
nichts Gedanken gemacht, und jetzt wirst du plötzlich grüblerisch und traurig.
Das paßt nicht zu dir.«
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich bin das
junge, sorglose Geschöpf, gesund, dumm und immer vergnügt.«
»Komm mittagessen«, sagte sie.
Mein Vater war vorausgegangen; er haßte
diese Art von Unterhaltung. Auf dem Weg nahm er meine Hand und hielt sie fest.
Er hatte eine starke, tröstende Hand. Sie hatte mir bei meinem ersten
Liebeskummer die Tränen getrocknet, sie hatte in den Augenblicken der Ruhe und
des vollkom menen Glückes die meine gehalten und sie heimlich gedrückt, wenn
ich sein Komplice war oder wir über irgend etwas unbändig lachen mußten. Diese
Hand auf dem Lenkrad, diese Hand, die manchmal mühsam das Schlüsselloch suchte,
diese Hand auf der Schulter einer Frau oder auf einer Zigarettendose — diese
Hand war nicht mehr für mich da. Ich drückte sie sehr fest. Er wandte sich mir
zu und lächelte.
ZWEITES KAPITEL
E s verstrichen zwei Tage: Ich ging in
meinem Zimmer umher und zermarterte mein Hirn. Ich konnte mich nicht frei
machen von der Zwangsvorstellung, daß Anne unser Leben zerstören würde. Ich
machte keinen Versuch, Cyril wiederzusehen. Er hätte mich beruhigt, ich wäre
glücklich mit ihm gewesen, und ich wollte nicht glücklich sein. Es bereitete
mir sogar ein gewisses Vergnügen, mir unlösbare Fragen vorzulegen, mich an
vergangene Tage zu erinnern und die Zukunft zu fürchten. Es war sehr heiß. Mein
Zimmer lag im Halbdunkel, die Fenster waren geschlossen; trotzdem war die Luft
unerträglich schwer und feucht. Ich lag auf meinem Bett, den Kopf zurückgelegt,
und starrte auf die Zimmerdecke; ich bewegte mich so wenig wie möglich und nur,
um eine kühle Stelle auf dem Leintuch zu suchen. Schlafen konnte ich nicht,
aber am Fußende meines Bettes stand der Plattenspieler. Ich hatte ein paar
langsame rhythmische Platten ohne Melodie aufgelegt. Ich rauchte viel, ich kam
mir sehr verkommen vor, und das freute mich. Aber im Grunde konnte mich dieses
Spiel nicht täuschen: Ich war traurig, ich fand mich nicht zurecht.
Eines Nachmittags klopfte das
Stubenmädchen an meine Tür und teilte mir mit geheimnisvoller Miene mit, daß
jemand unten sei. Ich dachte sofort an Cyril und ging hinunter. Aber es war nicht
Cyril. Es war Elsa. Sie nahm meine beiden Hände und drückte sie innig. Ich
schaute sie an und war überrascht von ihrer neuen Schönheit. Sie war endlich
braun geworden, und die helle, regelmäßige Sonnenbräune stand ihr gut; sie sah
gepflegt aus und strahlend jung.
»Ich bin gekommen, um meine Koffer zu
holen«, sagte sie. »Juan hat mir zwar inzwischen ein paar Kleider gekauft, aber
sie reichen nicht aus.«
Ich überlegte einen Moment, wer Juan
sei, ging dann aber nicht weiter darauf ein. Ich freute mich, Elsa
wiederzusehen. Sie brachte eine Atmosphäre von Bars, von ausgehaltenen Frauen
und fröhlichen Abenden mit sich, die mich an glückliche Zeiten erinnerte. Ich
sagte ihr, wie sehr ich mich freute, sie wiederzusehen, und sie versicherte
mir, daß wir uns
Weitere Kostenlose Bücher