Bony und der Bumerang
zehn Jahren war das Mädchen nach dem Tode der Eltern zu ihnen gekommen.
»Was hast du eigentlich zu Sonny gesagt, Onkel?« fragte Kate nach einer Weile.
»Eine ganze Menge«, erwiderte der Schaf Züchter grimmig. »Im Grunde genommen kann ich ihm keinen Vorwurf machen. Er wußte, daß Ralph ein guter Reiter ist. Er konnte ja nicht ahnen, daß der Wallach derart halsstarrig sein würde. Nein, ich kann ihm keinen Vorwurf machen. Außerdem hatte er für den Notfall das Gewehr schußbereit.« Er zögerte. »Herrgott, ich hätte etwas darum gegeben, dieses Schauspiel miterleben zu können.«
»Ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ein Pferd derart störrisch sein kann«, sagte Kate, und ihre Augen leuchteten. »Und noch weniger hätte ich es für möglich gehalten, daß überhaupt jemand ein solches Pferd reiten kann. Ralph war großartig.«
»Ja, Kate, der Junge hat Mumm. Während des letzten Semesters hat er sich sehr verändert. Er ist ausgeglichener, und ich habe den Eindruck, daß er gründlich nachdenkt.«
»Du meinst, er macht sich Sorgen?«
»Nein – aber er denkt über irgendein Problem nach. Vielleicht irre ich mich auch. Liebst du ihn eigentlich, Kate?«
»Natürlich«, erwiderte sie ohne Zögern, und ihr Onkel seufzte, weil die Antwort zu prompt kam. »Warum fragst du, Onkel?«
»Ach, ich möchte nur rechtzeitig Bescheid wissen – schließlich muß eine Hochzeit gründlich vorbereitet werden.«
Kates Wangen überzogen sich mit einer feinen Röte.
»Ich glaube nicht, daß ich ihn auf diese Weise liebe, Onkel«, entgegnete sie. »Aber du hättest mir dieses Geständnis nicht entlocken dürfen.«
Er spürte ihre Verlegenheit und faßte nach ihrer Hand.
»Vielleicht, Katie«, murmelte er. »Aber du brauchst vor deinem alten Onkel keine Geheimnisse zu haben. Eines Tages wirst du dich verlieben, und Ralph ebenfalls. Deine Tante und ich wären glücklich, wenn ihr beide euch finden würdet. Aber das tut nichts zur Sache. Der Mann deiner Wahl wird der Richtige sein, Katie, das versichre ich dir. Und du darfst dich mir jederzeit anvertrauen. Ich möchte ja nur, daß du glücklich wirst.«
Das Mädchen wollte etwas entgegnen, doch dann senkte sie die Lider und preßte stumm seine Hand.
Als sie beim Herrenhaus eintrafen, dämmerte es bereits. Sie erklärten der Little Lady, warum Ralph nicht mit zurückgekommen war.
»Lasse ihn aber nicht zu lange auf dem Vorwerk, John«, sagte sie enttäuscht und hakte sich bei ihrem Mann ein. »Er reitet immer die wildesten Pferde, und das macht mir Sorgen.«
»Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Ralph wird mit jedem Pferd fertig.«
Nach dem Abendessen blieb die Little Lady im Wohnzimmer und las. Kate spielte Klavier. Thornton ging ins Büro, um die eingegangene Post durchzusehen und die üblichen Telefongespräche zu führen. Nachdem er eine Stunde am Schreibtisch zugebracht hatte, wollte er gerade ins Wohnzimmer zurückkehren, als an die Tür geklopft wurde.
»Herein!« rief der Schaf Züchter und zündete sich eine Zigarette an.
Ein Mann kam herein und schloß leise die Tür hinter sich. Als er in den Lichtkreis der Schreibtischlampe trat, sah der Schafzüchter, daß es ein Fremder war.
»Mr. Thornton?« fragte der Unbekannte.
»Ja. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe hier ein Schreiben, das Ihnen den Grund meiner Anwesenheit erklärt«, erwiderte der Mann, ein Mischling, der wie ein Farmarbeiter gekleidet war.
Die gepflegte Aussprache verriet allerdings, daß es sich um keinen gewöhnlichen Farmarbeiter handelte, obwohl die dunkle Hautfarbe darauf hindeutete, daß sich dieser Mann viel im Freien aufhielt. Der Schafzüchter nahm den langen blauen Umschlag und öffnete ihn.
Der Brief stammte von Sergeant Knowles in Wilcannia und trug den dicken roten Stempel ›Streng vertraulich‹. Thornton musterte seinen Besucher interessiert, dann las er:
›Lieber Mr. Thornton, leider sind wir mit unseren Ermittlungen noch keinen Schritt weitergekommen. Nun sind Mordfälle, in die Eingeborene verwickelt sind, erfahrungsgemäß besonders schwer aufzuklären.
Der Überbringer dieser Zeilen heißt Napoleon Bonaparte. Es ist aber möglich, daß er es vorzieht, unter einem Pseudonym aufzutreten. Er ist unter den Kriminalbeamten Australiens einer der besten, wenn nicht überhaupt der beste Kenner des Busches.
Er wurde auf ausdrücklichen Wunsch des Polizeipräsidenten angefordert, und ich habe Instruktionen, Sie zu bitten, ihm jede mögliche
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