Bony und die weiße Wilde
gehabt.«
Eine halbe Stunde später fuhren sie los. Zu Emmas Überraschung hielt Bony nach einer Weile an und stellte den Motor ab. Er stieg aus und blieb neben dem Wagen stehen.
Nichts regte sich in diesem Teil des Waldes, nur ein kleiner Vogel hüpfte von einem Baum zum anderen. Das Farnkraut, die silbernen und braunen Stämme mit ihren riesigen Baldachinen aus Blättern, in denen sich das Licht des sonnenüberfluteten Himmels verfing - alles schien unbeweglich wie von einer Kamera eingefangen und mit dem Bildwerfer projiziert. Das Trillern eines Bartfinks unterbrach schließlich die tiefe Stille.
»Wäre doch nur ganz Australien so wie dieser Wald«, sagte Bony, als er sich wieder hinter das Steuer setzte und den Motor anließ. »So kühl, so still, so erwartungsvoll. Seit einer Million Jahre wartet dieser Wald, und es macht ihm nichts aus, eine weitere Million Jahre zu warten. Und worauf wartet er? Ziehen Sie Sadie ein enganliegendes moosgrünes Kleid an, setzen Sie ihr einen grünen Filzhut auf den Kopf und plazieren Sie sie auf einem Farnbaum, und schon haben Sie eine Fee, die Ihnen vielleicht verraten kann, worauf dieser Wald wartet. Sadie mit dem geheimnisvollen Lächeln, mit den wissenden, verstehenden Augen - Sadie, die schon seit einer Million Jahre lebt.«
Emma schwieg. Nach einer Weile meinte sie: »Sie sind ein seltsamer Mensch, Nat. Sie haben es fertiggebracht, daß ich Sadie zum erstenmal richtig sehe, obwohl ich sie bereits seit Ranzig Jahren kenne.
»Wissen Sie, Emma, es gibt Situationen, wo ich gern meine Marie bei mir hätte. Marie ist anders als Sadie. Sie ist kräftig, u nd ihre schwarzen Augen lachen so gern. Für sie ist jeder Mensch ein offenes Buch. Sie könnte mir auch über Sadie Bescheid sagen.«
»Wenn sie auch in Ihnen wie in einem offenen Buch lesen kann, Nat - dann muß sie wirklich gut lesen können. Marie ist Ihre Frau, ja?«
»Sie ist meine Frau, meine Liebste, die Mutter meiner Söhne und auch meine Mutter. Sie ist meine Herrin und meine Sklavin. Und doch braucht sie deshalb keine Mona Lisa zu sein.«
»Sie mögen Sadie nicht?«
»O doch. Ich wollte nur sagen, daß ein Mädchen wie Sadie für meine Marie kein Problem wäre. Womit ich nicht behaupten will, daß sie für mich ein Problem darstellt.«
Es war bereits dunkel, als sie die Stadt erreichten. Emma ließ sich vor einem der hübschen Holzhäuser absetzen.
Nachdem Bony die herzliche Begrüßung der beiden Freundinnen beobachtet hatte, rauchte er eine Zigarette. Er wollte gerade die Kippe auf die Straße werfen, was ein schwerer Verstoß gegen die scharfen Feuerschutzbestimmungen gewesen wäre, als eine rauhe Stimme neben ihm ertönte: »Das kostet ein Pfund oder drei Monate Gefängnis!«
»Hallo, Sam! Steigen Sie erst mal ein, bevor Sie mich einbuchten. Ich war mit meinen Gedanken nicht ganz hier.«
Der hünenhafte Polizeibeamte schob sich in den Wagen.
»Dienstlich - oder Spazierfahrt?«
»Dienstlich.«
»Oh! Ich hoffte, es sei eine Spazierfahrt. Ich habe nämlich zwei Flaschen im Eisschrank.«
»Nach der Arbeit kommt das Vergnügen«, erwiderte Bony lächelnd. »Haben Sie heute nachmittag Mrs. Stark und Sadie in der Stadt gesehen?«
»Das ist doch meine Stadt, oder? Ich sah alle beide. Die alte Dame verbrachte den Nachmittag bei einer Freundin, während Sadie Einkäufe machte.«
»In welchen Geschäften war sie? Und was hat sie gekauft?«
»Sie war im Kaufhaus Baumont. Als sie herauskam, hatte sie verschiedene Kleinigkeiten in einem Korb, und eine Verkäuferin trug ein längliches Paket und so etwas wie einen Schuhkarton zum Wagen.«
»Und wo wurden diese Pakete verstaut?«
»Im Kofferraum. Sadie verlangte es anscheinend so. Den Korb stellte sie auf den Rücksitz.«
17
Emma verweilte nicht lange bei ihrer Freundin, darum blieb ihr noch eine Stunde für Sam und Elsie. Die große, blonde Frau des Sergeanten zeigte sich ausgesprochen redselig, während ihr Mann sehr neugierig war und zu erfahren suchte, was Bony und Emma in der Stadt gewollt hatten. Schließlich war es Zeit für die Heimfahrt.
Die erste Meile legten sie schweigend zurück. Dann konnte Emma nicht länger an sich halten.
»Wollen Sie denn gar nicht wissen, was passiert ist, Nat?«
»Aber natürlich. Und was ist denn passiert?«
»Seltsame Dinge. Ich erzählte Ihnen ja bereits, daß meine Freundin die Leiterin der Abteilung Damenbekleidung bei Baumont ist. Sie hat Sadie zwar nicht bedient, wußte aber trotzdem Bescheid. Sadie kaufte
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