Bony und die weiße Wilde
ein Hauskleid - zunächst. Ein ganz einfaches, billiges blaues Hauskleid. Dann verlangte sie, bessere Kleider gezeigt zu bekommen, und wählte schließlich ein weißes Seidenkleid mit roten Punkten, weiten Puffärmeln und Rüschen. Angeblich sollte es für eine Freundin bestimmt sein. Ein schönes Kleid und sehr teuer. Die Verkäuferin wollte beide Kleider zusammenpacken, aber Sadie lehnte dies ab, weil das eine ja, wie gesagt, für ihre Freundin bestimmt sei. Anschließend kaufte sie noch ein paar rote Sandaletten.«
»Dann hat sie also doch nicht gelogen«, meinte Bony.
»Nein. Sie wollte auch noch einen Hut haben, konnte aber nichts Passendes finden. Sie kaufte sich noch ein Paar lange weiße Baumwollhandschuhe und eine große Flasche Boronia. Nun ist aber an der ganzen Geschichte ein Umstand sehr merkwürdig, Nat: Seit Jahr und Tag wird alles, was Sadie und ihre Mutter bei Baumont kaufen, auf das Konto der Rhudders gesetzt. Diesmal bezahlte Sadie bar. Natürlich - da es ein Geschenk für eine Freundin sein sollte, wollte sie vielleicht nicht den alten Jeff damit behelligen.«
»Das wäre zu verstehen, Emma. Hat sie viele Freundinnen?«
»Sadie und Freundinnen! Nein, Nat.«
»Dann könnte dieses weiße Kleid doch auch für sie selbst bestimmt sein. Vielleicht will sie ihre Mutter und Mrs. Rhudder bei irgendeiner Gelegenheit damit überraschen.«
»Aber doch nicht dieses Kleid, Nat. Es ist ein ausgesprochenes Teenagermodell. Aus dem Alter ist Sadie ja nun wahrhaftig heraus. Aber da ist noch etwas...«
»Ja?« Bony sah Emma erwartungsvoll an.
»Die roten Sandaletten - Sadie hat Schuhgröße sechsunddreißig, und sie verlangte die Sandaletten in dieser Größe. Natürlich, diese Freundin könnte ja dieselbe Größe haben, aber das wäre doch ein merkwürdiger Zufall. Sadie sagte der Verkäuferin, die Schuhe sollten zum Kleid passen, aber vielleicht wollte sie sie doch für sich selbst haben. Sadie verliert doch wohl nicht den Verstand, Nat?«
»Nein, das glaube ich nicht. Und Sie glauben es ebenfalls nicht. Immerhin hat sich herausgestellt, daß es hier ein kleines Geheimnis gibt, nicht wahr? Die Lösung wird wahrscheinlich ganz einfach sein. Übrigens - Ihre Freundin Elsie Sasoon gefällt mir. Sie schien sich mächtig über unseren Besuch zu freuen.«
»Elsie freut sich immer, wenn jemand kommt. Wir haben uns von jeher gut mit den Sasoons verstanden. Sam ist ein wenig bequem, aber ein guter Polizeibeamter.«
Bony erzählte von dem Vorfall mit dem Zigarettenstummel.
Emma schmunzelte. »Er hätte Sie unweigerlich eingesperrt, wenn Sie die Kippe tatsächlich auf die Straße geworfen hätten. Und dann hätte er sich wochenlang darüber amüsiert. Sind Sie denn eigentlich zufrieden mit dem, was ich herausgefunden habe?«
»Ja, selbstverständlich. Es beweist, daß Sadie keine Lügnerin ist, und darüber bin ich froh. Ist Boronia ihr Lieblingsparfüm?«
»Ja, sie hat es schon immer bevorzugt. Ich wüßte nicht, daß sie je etwas anderes genommen hätte.«
Die Scheinwerfer tasteten die staubige Straße ab. Es war, als bewege sich der Wagen in einer gigantischen Kathedrale mit weißen Pfeilern vorwärts. Bony erwartete Mondschein, aber dann dachte er an die große Dunstwolke vom Nachmittag, die jetzt wahrscheinlich den Mond verhüllte.
»Der alte Jeff hat sich gestern so aufgeregt, weil zwei Leuchter verschwunden sind«, erzählte Bony. »Weder seine Frau noch Sadie noch Mrs. Stark haben sie gesehen. Eiserne Leuchter, sehr alt. Jeff sagte mir, sein Großvater habe sie in einer der Höhlen in einer alten Kiste gefunden. Sie müssen wohl von Schiffbrüchigen dort versteckt worden sein.«
»Diese Leuchter habe ich schon gesehen«, erwiderte Emma, die ihre Gedanken nur ungern von den modischen Dingen löste, über die heute abend soviel gesprochen worden war. »Schwere Dinger, man konnte sie nicht so leicht umwerfen, und es war darum ziemlich unwahrscheinlich, daß durch sie ein Brand entstehen konnte. Ah - da fällt mir ein, daß man einen davon immer vor die offene Tür stellte, sozusagen als Gewicht, damit der Wind die Tür nicht zuschlagen sollte. Der alte Jeff wird langsam sonderbar.«
»Auf jeden Fall hat er die Leuchter vermißt, und deshalb war er so unleidlich. Wie ist er eigentlich mit Luke ausgekommen? Was wissen Sie darüber?«
»Es ging. Erst war natürlich Marvin das Lieblingskind, und Luke hat es vielleicht gewurmt, immer die zweite Geige spielen zu müssen, aber er verstand sich trotzdem immer
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