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Bookman - Das ewige Empire 1

Bookman - Das ewige Empire 1

Titel: Bookman - Das ewige Empire 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lavie Tidhar
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mögen ein großes
Faible für Dichtung haben«, erwiderte sie. »Für mich hingegen trifft das nicht
zu.«
    Verblüfft riss Orphan die Augen auf. Was die Inspektorin gesagt
hatte, war fast schon Hochverrat. Warum sie ihm das wohl erzählte? Was wollte
sie? »Ich verstehe nicht ganz …«, sagte er.
    Â»Nein, vermutlich nicht«, fiel sie ihm ins Wort, nahm auf der
Bettkante Platz und sah ihn unverwandt an. Ihre tiefblauen Augen waren von
einem Netz feiner Falten umgeben. »Sie sind ein Rätsel, Orphan«, sagte sie
schließlich. »Sie tauchen im Rose Theatre auf – und es geht in Flammen auf.
Einen Tag später tauchen Sie im Richmond Park auf – und auch dort kommt es zu
einem Brand. Sie gehören zu einer Organisation, die Schriftsteller
terrorisiert, und Sie wohnen und arbeiten in einem Buchladen, dessen Besitzer
ein bekannter Aufrührer ist. Wie kommt es, dass Ihnen die Katastrophen auf dem
Fuß folgen wie ein Hund an der Leine?« Sie beugte sich zu ihm, und obwohl sie
kaum hörbar flüsterte, wirkten ihre Worte auf Orphan, als hätte sie ihm einen
Eimer kalten Wassers über den Kopf gegossen. »Was haben Sie an sich, das die
Aufmerksamkeit des Bookman auf Sie lenkt?«
    Wie ein Minotauros, der sich in einem feindseligen, fremden
Labyrinth verirrt hat, wanderte Orphan durch die Straßen. Irgendwo lauerte der
Bookman, unsichtbar, aber von tödlicher Präsenz. Orphan konnte seine
Anwesenheit spüren wie ein formloses, gespenstisches Wesen, eine körperlose
Wesenheit, die sich im Nebel verbarg und ihn von den Dächern und aus der
Kanalisation heraus beobachtete.
    Was haben Sie an sich , hatte Irene Adler
gefragt, das die Aufmerksamkeit des Bookman auf Sie lenkt?
    Diese Worte gingen ihm ständig im Kopf herum, irrten umher, als
wären auch sie in ein Labyrinth geraten, suchten nach einer Antwort, die ihm
unbekannt war.
    Er hatte ihr nicht geantwortet. Irene Adler hatte ihn lange
durchdringend angesehen, um dann zu fragen: »Vermissen Sie sie?«
    Eine Welle des Zorns durchströmte Orphan. Auf diese sinnlose,
grausame Frage gab es keine passende Antwort. Irene Adler seufzte. »Wenn es in
Ihrer Macht stünde«, fuhr sie fort, »würden Sie sie dann zurückholen?«
    Ihre Blicke verhakten sich ineinander. Orphan hatte den Eindruck,
als finde ein unsichtbarer Wettkampf zwischen ihnen statt, eine
Auseinandersetzung der Willenskräfte, etwas wie ein Turnierkampf, bei dem es um
einen unbekannten Preis ging.
    Â»Sie ist tot«, sagte er.
    Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus, dunkel wie der Ozean
unter einem mondlosen Himmel. Irene Adler reckte sich und stand auf, um im
Zimmer hin und her zu gehen, als versuchte sie, eine unangenehme Entscheidung
zu treffen. Sie blieb am Fenster stehen und blickte nach draußen. »Der Tod ist
das unentdeckte Land …«, sagte sie mit abgewandtem Gesicht zu Orphan und
verstummte.
    Licht fiel durch das Fenster auf ihr Gesicht und hob ihre fein
geschnittenen Züge hervor. Sie drehte den Kopf und bedachte Orphan mit einem
müden Blick, der gleichwohl voller Leben war und sowohl eine Herausforderung
als auch eine Frage zu enthalten schien.
    Wie unter Zwang vervollständigte Orphan das Zitat, das die
Inspektorin angeführt hatte. »… von des Bezirk kein Wandrer wiederkehrt.« Er
setzte sich im Bett auf. »Was wollen Sie von mir?«, flüsterte er.
    Unerwartet lächelte die Inspektorin. »Sie begreifen es immer noch
nicht, oder?«, sagte sie. »Hat Ihr Freund Gilgamesch nicht versucht, es Ihnen
zu erklären?« Als sie seinen verblüfften Gesichtsausdruck bemerkte, schüttelte
sie den Kopf. »Ach, Orphan. Warum muss jeder, mit dem Sie in Berührung kommen,
sterben? Sie sind wie Hamlet, der Prinz von Dänemark. Sie wandern durch die
Hallen Ihres Geistes und wagen es nicht zu handeln, bis alles verloren ist. Wir
leben in einer Zeit der Mythen, Orphan. Sie sind die Kabel, die unter dem
Fußboden verlaufen und die Welt antreiben, die Kanäle unsichtbarer Kraftströme,
der Dampf, der die großen Maschinen der Welt speist. Würden Sie sie
zurückholen, wenn Sie könnten?«
    Wieder diese Frage, die wie ein Haken an einer Angelschnur nach ihm
ausgeworfen wurde. Bereit, ihn einzuholen.
    Und Orphan ließ sich fangen. »Sagen Sie mir, wie«, erwiderte er.
    Nachdem er das Krankenhaus verlassen hatte, ging er durch
die

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