Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
Wellington ruckte Elizas schlaffen Körper auf seinen Schultern zurecht und drängte voran auf den Haupteingang zu.
Putz und Stuck regneten auf sie herab. Dienstboten und Wochenendgäste schrien in blinder Panik und blankem Entsetzen, und sie erlagen ausnahmslos einem Instinkt, der alle Klassenunterschiede überwand: dem Überlebensinstinkt. Wahrscheinlich hatte Wellington sich in seinen Erwartungen getäuscht. Die Gesellschaft des Phönix predigte eine Rückkehr zu Anstand und guten englischen Werten, doch davon spürte er nichts, als ihn einer der Brüder – ein Mann, der ihm beim Dinner gegenübergesessen hatte – skrupellos aus dem Weg stieß, sodass sie gegen eine nahe Wand prallten. Nur mit Müh und Not fand Wellington sein Gleichgewicht wieder.
Kaum zu glauben, dass er es hörte, aber glasklar drang ein Vogelruf in das Chaos. Zielstrebig folgte er dem Tschilpen. Eliza wurde zusehends schwerer, aber endlich wich der Staubschleier des einstürzenden Hauses dem hellen Sonnenlicht. Wellington konnte bereits die Außenwelt sehen, und es schien ein strahlend schöner, geradezu malerischer Tag auf dem Lande zu werden. Wie herrlich, dachte er gerade, da fiel ihm ein großes Stück Stuck vor die Füße. Draußen vor dem Haus konnte er eine Reihe von Kutschen erkennen, die im Sonnenschein warteten und deren angebundene Pferde aufgeregt wiehernd mit den Hufen stampften. Er holte noch einmal tief Luft – sie hatten es fast geschafft!
Plötzlich zersplitterte die Gaslampe an der Wand direkt über ihm. Wellington war sofort klar, dass nicht das einstürzende Haus die Ursache war. Das war ein einzelner Schuss gewesen.
Leicht schwankend fuhr er herum und sah sich ihrem Angreifer gegenüber, der gänzlich mit Ruß, Blut und Erde verschmiert war. Bartholomew Devane würde – vorausgesetzt, er kam mit dem Leben davon – nie wieder der schneidige Gentleman sein, als den er sich selbst so gern sah. Seine rechte Gesichtshälfte war voller Blut, das größtenteils getrocknet an verbranntem Fleisch klebte. Ein Arm hing verstümmelt an seiner Seite. Und trotz allem zeigte er das gewohnte Raubtierlächeln, das jetzt allerdings noch unattraktiver war.
»Sie wollen schon gehen, alter Knabe?« Selbst seine Stimme hatte beim Untergang der Havelock’schen Höhle gelitten. Sie klang schnarrend, kratzig und tat Wellington in den Ohren weh. Er fragte sich, wie schwer Devane das Sprechen fallen mochte. Oder fand er gar Gefallen an seiner Qual? »Eben noch hat mich Ihre Partnerin zurückgewiesen. Doch jetzt scheint sie in einem erheblich fügsameren Zustand zu sein.«
Plötzlich ging ein Ruck durch das Haus, als wäre es von etwas Großem getroffen worden. Sie hatten beide Schwierigkeiten, ihr Gleichgewicht zu halten, als Wellington einen scharfen Schmerz im Fuß spürte. Entsetzt sah er hinab, und ein heißes Brennen erfasste sein Bein. Er konnte es nicht bewegen. Irgendetwas unter seinem rechten Fuß hielt ihn dort fest.
Mit aller Kraft und unter mächtigen Schmerzen riss Wellington sich ruckartig los. Sein Knie wollte nachgeben und ihn zu Boden zwingen, aber es gelang ihm, stehen zu bleiben. Dafür kroch das Brennen stetig höher.
Der Zahn eines Zahnrades von der Größe eines Kopfes, ragte aus der Holzdiele, wo Wellington eben noch gestanden hatte. Dessen dunkle Spitze war nun rot von seinem Blut. Dann bohrte sich direkt vor Devane ein weiteres Zahnrad durch den Boden. Und hinter ihm noch zwei. Bald ragten überall aus dem Holzparkett diverse Stangen, Zähne und sogar etwas, das wie die Inspektionsluke eines Heizkessels aussah.
»Um Himmels willen, Devane, schauen Sie sich doch um!«, rief Wellington, dem die Beine zitterten. Aus dem Augenwinkel konnte er einen Teewagen sehen, der von sich aus ins Rollen kam. »Der Hauptkessel wird jeden Moment den kritischen Punkt überschreiten, und das Fundament des Herrenhauses bricht weg. Was halten Sie davon, sich draußen an diesem melodramatischen Augenblick der Rache zu ergötzen?«
Neben dem Klirren von Silberbesteck und herunterfallenden Gaslampen hörte Wellington, dass Devane den Hahn seines Revolvers spannte. »Dieser Ort ist dafür bestens geeignet, obwohl ich mich mit Ihrer ›errötenden Braut‹ auch einfach dort auf dem Rasen vergnügen könnte. Als Frau aus den Kolonien gefällt sie sich wahrscheinlich sogar in der Rolle der Freiluftgenießerin.«
»Genug, Devane! Der Phönix versinkt in der Asche! Es ist …«
»Gleich vorbei«, fiel er ihm ins Wort, »nur noch eine
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