Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
würden niemals gute Freunde werden, nicht einmal höfliche Bekannte. Also konnten er und Eliza in der Stille zwischen all den Dingen, die sortiert und katalogisiert werden mussten, wunderbar gemeinsam leiden.
Er spürte die Spielkarte an der Brust, und ein Hauch Bitterkeit trübte seine Stimmung. Der gemeinsame Abend hätte das gegenseitige Vertrauen fördern sollen. Doch anscheinend war das fehlgeschlagen, wenn man bedachte, dass Eliza ihm dieses Indiz vorenthalten hatte. Sie war vermutlich überzeugt gewesen, dass er direkt zu Dr. Sound laufen und diesen neuen Fund vorlegen würde. Nun, ihren Besuch im Bedlam wollte er zwar für sich behalten, was dieses Indiz anging, waren jedoch die Dienstvorschriften einzuhalten. Die gab es schließlich nicht ohne Grund. Vielleicht würde Eliza ihn für einen Petzer halten, der gleich zum Schuldirektor rannte; doch so kindisch ihr das auch erscheinen mochte, nichts und niemand stand über Dienstvorschriften und geregelten Arbeitsabläufen. Beides hielt die Ordnung im Ministerium aufrecht.
Trotzdem tat es weh. Er hatte sich tatsächlich amüsiert. Ein wenig. Er hatte eigentlich geglaubt, er habe die richtigen Schritte unternommen, um seine Schutzbefohlene zu verstehen und eine gewisse Vertrauensbasis zu schaffen.
Wie wird sie reagieren, wenn sie feststellt, dass die Karte verschwunden ist?
»Sie kamen fast jede Woche, verschiedene Leute, Männer und Frauen. Sie alle haben so ein Ding, das sie als Medaillon oder Anstecknadel tragen, daher wusste ich immer, wen ich an diesen Tisch bringen musste. Aber es war schon seit Monaten niemand mehr hier … vielleicht acht …«
Vor acht Monaten war Agent Thorne verschwunden.
Wellington erinnerte sich, wie damals die Arbeit im Archiv zum Stillstand gekommen war. Er hatte sogar erwogen, in den zweiten Stock zu gehen, um herauszufinden, was los war. Hatte es einen Todesfall gegeben? War ein Einsatz außer Kontrolle geraten? Wurde das Ministerium geschlossen? Eingedenk der ungelösten Verbrechen, mit denen sie es zu tun hatten, und der recht exzentrischen Natur seiner Behörde, wäre er keineswegs erstaunt gewesen, wenn die Krone ihren Operationen ein für alle Mal ein Ende gesetzt hätte.
Doch er hatte sich eines Besseren besonnen und die Büro etage nicht aufgesucht, sondern sich ins Gedächtnis gerufen, dass die Agenten in ihm lediglich ein praktisches Hilfsmittel für ihre Arbeit sahen. Er erinnerte sich vage an Thornes zwiespältiges Verhältnis zu ihm, wenn er zur Recherche ins Archiv kam. War Eliza bereits Thornes Partnerin gewesen, als dieser sich das letzte Mal so herablassend vor Wellingtons Schreibtisch aufbaute? Thorne bezeichnete die analytische Maschine als »amüsant« und meinte, dass sie das Archiv lebendiger gestalte. Für ihn war sie einfach nur ein weiteres Spielzeug, genau wie die Kinkerlitzchen, die von den Tüftlern der Entwicklungsabteilung ausgegeben wurden. Thorne, Campbell und all die anderen machten überdeutlich klar, dass Agenten nur aus einer Notwendigkeit heraus ins Archiv kamen, niemals um Höflichkeiten auszutauschen oder gar zu plaudern. Je effizienter Wellington seine Arbeit erledigte, desto schneller konnten sie ihre Aufgaben in Angriff nehmen.
Nun ja, alle bis auf Agent Brandon Hill. Die Geschichten über Affenmesserkämpfe, mit denen Hill ihn zu unterhalten pflegte, gaben Anlass zu der Frage, ob dieser spezielle Agent noch ganz richtig im Kopf war.
Und trotz allem war Agent Thorne ein Kollege im Ministerium gewesen. Sie waren Landsleute – wie man dem gemeinsamen Dienstwappen und dem Ring entnehmen konnte – , waren Räder derselben Maschinerie, stets im Dienste Ihrer Majestät. Wellingtons Arbeitsplatz lag zwar weit von den Büros entfernt, aber er hatte intuitiv gewusst, dass etwas geschehen war. Die Bestätigung kam, als Campbell endlos viele Fallakten zum Katalogisieren ins Archiv brachte. In den Augen des Ministeriums war mit dem Ausscheiden von Agent Harrison Thorne Schluss mit diesem speziellen Fall. Die Einzelheiten darüber hatte Wellington nie erfahren, aber Campbell war sichtlich betroffen gewesen.
Auch Wellington empfand den Verlust, obwohl er Thorne nicht sonderlich gemocht hatte. Eliza hatte sicher am meisten darunter gelitten. Thorne musste wahrhaftig eine beachtliche Persönlichkeit gewesen sein, um ihre Loyalität und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Nun befand sich in Wellingtons Tasche eine Adresse, von der er wusste, dass sie nicht in den Akten des Ministeriums stand. Eine neue
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