Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
die Leichen zwei Tage später entdeckt hätte, was alle weiteren Untersuchungen zu einer Herausforderung machte.
Bruce wurde plötzlich die unglaubliche Stille im Archiv bewusst, und er schaute sich nach allen Seiten um. Das stete Dröhnen der Generatoren war zwar noch da, aber bereits nach wenigen Minuten schien es gleichbedeutend mit der Stille zu werden, als arbeiteten sie gemeinsam daran, diese Atmosphäre zu schaffen, bei der ihm eine Gänsehaut über die Arme lief.
»Eliza«, murmelte er, während er ein paar Seiten weiterblätterte, »wie zum Teufel bringst du es bloß fertig, hier unten zu arbeiten?«
Obgleich das Amulett von Shaka bei Weitem nicht das mächtigste ist, dem ich je begegnet bin, besitzt es – wie umfassende Untersuchungen durch mich und Agent Atkins (der vom Londoner Büro befristet entsandt wurde) gezeigt haben – verblüffende Fähigkeiten, vor denen sich jeder in Reichweite des besagten Amuletts unbedingt in Acht nehmen sollte.
»Na, wer sagt’s denn?« Bruce kicherte leise und vertiefte sich wieder in Agent Lochlears Notizen.
Das Amulett ist per se nichts Außergewöhnliches – ein versteinertes Stück Baumrinde, das ausgehöhlt wurde, um kleine Mengen Flüssigkeit aufnehmen zu können. Es zeigt ein im Zululand weit verbreitetes Motiv: ein ovales Schild mit zwei gekreuzten Speeren …
»Komm zur Sache, Kumpel«, knurrte Bruce und strich mit dem Finger ungeduldig über die Zeilen. »Sag mir einfach, was das verdammte Ding so gefährlich macht!« Wenn er den Beweis erbrächte, dass das Ministerium lebensgefährliche Gegenstände bei den Asservaten aufbewahrte, würde Sussex das vielleicht zufriedenstellen.
… außerstande zu erklären, womöglich ist es eine Eigenschaft des Holzes, oder es liegt an seinem Versteinerungsprozess, aber die Flüssigkeit – in diesem Fall das Blut von Shaka Zulu persönlich – ist vollends erhalten geblieben, bis hin zu seiner Temperatur, als wäre es dem Häuptling der Wilden soeben erst abgenommen worden.
Bruce schluckte trocken und schüttelte sich. Seine Kehle schmerzte. Er brauchte dringend etwas zu trinken. Vorzugsweise Whisky.
Der Legende nach – wenngleich wir diesbezüglich nur Mutmaßungen anstellen können, da die Kerngeschichte von den Eingeborenen anscheinend immer wieder neu gedeutet und ausgeschmückt wird, ganz wie es ihren Zwecken und ihrem Status innerhalb der jeweiligen Gemeinschaft dienlich ist – wurde Shaka in einer Vision offenbart, dass sein Halbbruder Dingane und sein Bruder Mhlangana gemeinsam Pläne für seine Ermordung schmiedeten. Shaka reiste heimlich zu einem Baum, dem die Leute nachsagten, er sei heilig und besitze die Macht der Götter, da er bereits mehrere Male vom Blitz getroffen worden war und dennoch weiterwuchs und gedieh wie in tropischem Klima.
Dort vollzogen Shaka und ein Medizinmann seines Vertrauens ein Aderlass-Ritual, das nach unserer Kenntnis der Bräuche König Shaka sofort hätte töten oder ernsthaft schwächen müssen.
Bruce schüttelte den Kopf. Sein Leben vor der Zeit im Ministerium mochte weniger aufregend gewesen sein, hatte ihm dafür aber längst nicht so viele Unwägbarkeiten beschert. Er warf einen Blick in die Kiste. Ein Frösteln kroch ihm über den Rücken.
Der Schein der Gaslampen reichte kaum bis in die Kiste hinein, und dennoch tanzten Schatten über die Ornamente und winzigen Rillen von Shakas Amulett. Es war eine Sache, etwas darüber zu lesen, aber eine völlig andere, das Amulett selbst zu betrachten. Bei einem Einsatz in Batavia hatte er es einmal mit einer Kobra zu tun bekommen. Und mit derselben Beherrschtheit, die ihn vor dem Biss der Schlange bewahrt hatte, griff er nun in die Kiste – langsam und stetig. Der einzige Unterschied zu damals war der, dass er jetzt ernsthaft Furcht verspürte.
Glatt. Trotz der Verzierungen und Riefen war das versteinerte Holzamulett glatt wie Seide. Und warm. Er hörte sein Herz im Kopf hämmern. Oder war es Shakas Herz? Der Rhythmus war schwach, erinnerte ihn aber an das Trommeln, das er während seines Aufenthaltes in der Kapkolonie gehört hatte.
Bruce nahm sich die Fallakte wieder vor und las weiter.
Die Zulu glauben, dass dem Träger des Amuletts die Macht der Baumgötter zuteilwird, wenn er sich Shakas Blut auf die Stirn und in die Mitte der Brust streicht. Zur Aktivierung hätte das Amulett ein weiteres Blutritual benötigt, doch Shaka wurde ermordet, bevor die Zeremonie durchgeführt werden konnte. Kurz nach der Gefangennahme des
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