Books & Braun: Das Zeichen des Phönix (German Edition)
zu demselben Schluss wie am Vortag, als er nach Hause gekommen war. So unangenehm ihm diese Erkenntnis auch gewesen sein mochte, unter Elizas Blick wurde sie noch erheblich unangenehmer.
Ihre nächsten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. »Das Haus Usher ist noch immer hinter Ihnen her, Wellington.«
Er kniff sich in den Nasenrücken und drängte zurück, was ein rasender Kopfschmerz zu werden drohte. »Ich bete zu Gott, dass Sie sich irren, Miss Braun.«
Sie schob ihre Hand über den Schreibtisch und drückte kurz seinen Unterarm. »Ich fürchte, das tue ich nur sehr selten.«
»Wie dem auch sei, da wir nicht wissen, wann und wo sie das nächste Mal zuschlagen, würde ich sagen, wir konzentrieren uns auf die zu erledigenden Aufgaben.«
Mit einem weiteren tiefen Seufzer öffnete er die oberste Schublade seines Schreibtisches und blätterte in dem Notizbuch, das sie dem Fahrer der Todeskutsche abgenommen hatten. »Nun gut, nachdem es uns offenbar bestimmt ist, unser Ziel weiterhin beharrlich zu verfolgen – wie sehen Ihre Pläne für morgen Abend aus?«
Jetzt war es an Eliza, ungläubig zu blinzeln. »Wie bitte?«
Er hielt das Büchlein hoch und sah sie über den Rand seiner Brille hinweg an. »Der nächste Termin des Kutschers. Für morgen Abend ist eine Fahrt zum Londoner Opernhaus eingetragen. Ich glaube, dort wird derzeit Verdis Macbeth aufgeführt.«
»Oper? Sprechen Sie von Schnürkleidern, Wikingerhelmen und Selbstmordszenen, die dank des ganzen Gejaules mindestens fünfzehn Minuten zu lang dauern?«
Wellington musterte sie mit geschürzten Lippen. »Na«, sagte er und wandte sich wieder dem Notizbuch auf seinem Schreibtisch zu, »dann weiß ich ja nun, an welchem Punkt Ihre Kultiviertheit ein Ende findet.«
»Und ein abruptes noch dazu«, brummte sie, während sie an ihrem Mieder herumzupfte. »Sind Sie sich ganz sicher, dass uns die Spur ausgerechnet in die Oper führt?«
»Ach, das dürfte ein zauberhafter Abend werden«, bemerkte Wellington und beugte sich über die Bücher auf dem Schreibtisch. »Ich bekomme tatsächlich Gelegenheit, die vortreffliche Agentin Eliza D. Braun zu beobachten, wie sie sich dreht und windet .« Er lächelte. »Ach, ich liebe die schönen Künste.«
»Dann also ein Abend in der Oper«, stöhnte Eliza. »Bei den Göttern, was tut man nicht alles für Königin und Vaterland. Und für das sonderbare Volk, das darin lebt.«
Kapitel 15
In welchem Agent Books seine Kollegin beinahe warten lässt
Wellington stand an diesem Abend bereits zum fünften Mal vor dem Spiegel, um seine Krawatte anständig zu binden. Vielleicht gelänge es ihm ja diesmal.
Er hatte stets das konventionelle Plastron bevorzugt, da es unauffälliger war als ein moderner Langbinder, dessen schlanke Form Eleganz und Raffinesse ausdrückte. Somit konnte es kaum überraschen, dass Books aus der Übung war.
Was keineswegs bedeutete, dass er nicht immer bemüht gewesen wäre, gewisse Umgangsformen zu wahren, die er seiner guten Kinderstube zu verdanken hatte. Wellington glaubte an Sitte und Anstand und an eine Gesellschaft, die sich dadurch charakterisierte. Aus ihm mochte nicht das geworden sein, was sein Vater gern gesehen hätte, aber er war nach wie vor ein Gentleman.
Er widerstand der Versuchung, kurzerhand zum Plastron zu greifen, und kämpfte tapfer weiter mit dem Langbinder. Heute Abend musste er so gekleidet sein, dass er in die Welt hineinpasste, die er nach seinem Abschied von der königlichen Kavallerie hinter sich gelassen hatte. Langsam ließ er den Blick von seinem Spiegelbild über die zur Auswahl stehende Abendbekleidung wandern.
Nein, das kam nicht infrage. Er musste sich anpassen. Seine Militäruniform würde – selbst ohne Medaillen und Ehrennadeln – allzu viel Aufmerksamkeit erregen. Und heute Abend durfte er nicht mehr sein als ein unscheinbares Gesicht in der Menge.
»Du brauchst keinen Gefallen an der Kunst zu finden, Wellington«, erinnerte er sich an die Worte seines Vaters, »und dennoch solltest du viel Zeit im Theater verbringen. Dort triffst du alle, auf die es ankommt. Und du musst – das ist das Wichtigste – stets besser gekleidet sein als jeder andere. Deine gute Erziehung sollte zu jeder Zeit erkennbar sein.«
Vermutlich hatte Wellingtons Vater seine erste große Enttäuschung erlebt, als er erfahren musste, dass sein Sohn die Oper und das Theater durchaus zu schätzen wusste. Wellington hätte es besser wissen und seine Meinung lieber für sich behalten
Weitere Kostenlose Bücher