Boomerang
anzusehen. »Sie waren anders«, erläuterte er vor dem parlamentarischen Ausschuss. »Sie hatten eine sonderbare Art der Unternehmensführung. Die Mitarbeiter waren alle unglaublich jung. Sie kamen alle aus derselben Gruppe in Reykjavík. Und sie hatten keine Ahnung vom Geschäft.«
Shearer sah sich die Jahresberichte von Kaupthing an und stieß auf einige bemerkenswerte Tatsachen: Beispielsweise stammte nur ein einziges Aufsichtsratsmitglied dieser riesigen internationalen Bank nicht aus Island. Die Direktoren hatten Vierjahresverträge; die Bank hatte ihnen 19 Millionen Pfund Sterling geliehen, um Anteile von Kaupthing zu erwerben, und garantierte den Rückkauf der Aktien zu einem festen Gewinn. Die Erträge der Bank stammten fast durchweg aus der überhöhten Bewertung von Anlagen, die sie zu überhöhten Preisen erworben hatte. »Der Anteil der Gewinne aus Bankgeschäften, die man als solche bezeichnen könnte, lag bei unter 10 Prozent«, meinte Shearer.
In einer vernünftigen Welt hätten die britischen Aufsichtsbehörden |41| die neuen isländischen Finanziers daran gehindert, die traditionsreiche britische Handelsbank zu schlucken. Doch die Bankenaufsicht ignorierte einen Brief von Shearer. Ein Jahr später, im Januar 2005, erhielt er einen Anruf vom britischen Takeover-Panel. »Sie wollten wissen, warum unser Aktienkurs in den letzten Tagen so stark gestiegen war«, erinnerte sich Shearer. »Ich lachte nur und sagte: ›Mr. Einarsson war so dumm, vor zwei Tagen anzukündigen, dass er ein Angebot für Singer & Friedlander abgeben wollte.‹« Im August 2005 wurde die Handelsbank in Kaupthing Singer & Friedlander umbenannt und Shearer ging, weil er besorgt war, andernfalls seinen Ruf zu verlieren. Im Oktober 2008 war Kaupthing Singer & Friedlander pleite.
Doch als die Abgeordneten Tony Shearer drängten, die Isländer als dahergelaufene Hütchenspieler darzustellen, weigerte er sich. »Es waren sehr gebildete Leute«, sagte er, noch immer erstaunt.
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Auch in anderer Hinsicht imitierten die Isländer das amerikanische Vorbild. Alle möglichen Leute, durchweg Ausländer, versuchten ihnen klarzumachen, dass sie ein Problem hatten. Anfang 2006 verfasste beispielsweise ein dänischer Analyst namens Lars Christensen zusammen mit drei Kollegen von der größten dänischen Bank, der Danske Bank, einen Bericht, in dem er warnte, wenn das isländische Bankwesen mit dieser irrwitzigen Geschwindigkeit weiterwachse, sei die Katastrophe vorprogrammiert. »Wir haben diesen Bericht geschrieben, weil wir Sorge hatten, dass sich unsere Kunden zu sehr für Island interessieren könnten«, sagte mir Christensen. »Island war einfach nur extrem.« Der Däne flog sogar nach Island und hielt einen Vortrag, um seiner Warnung Gehör zu verschaffen. |42| Doch dort schlug ihm nur eine Welle des Zorns entgegen. »Die isländischen Banken haben es persönlich genommen. Sie haben uns sogar mit Klagen gedroht und mir gesagt: ›Du bist Däne, und du bist nur neidisch, weil es uns so gut geht.‹ Das hat immer noch mit 1944 zu tun [dem Jahr, in dem Island endgültig von Dänemark unabhängig wurde]. Die Reaktion war nicht: ›Die Jungs könnten vielleicht Recht haben‹, sondern: ›Das ist eine Verschwörung! Die wollen uns übers Ohr hauen!‹«
Die Danske Bank informierte Hedgefonds in London, dass Island ein hervorragendes Ziel für Wetten war. Sie gingen dem Phänomen auf den Grund und stießen auf ein schier unglaubliches Netz der Vetternwirtschaft: Banker kauften einander Anlagen zu überhöhten Preisen ab, beliehen diese Anlagen mit Zigmilliarden Dollar und verliehen das Geld an Mitglieder ihres kleinen isländischen Klans weiter, die damit einen Gemischtwarenladen von ausländischen Anleihen zusammenkauften. »Und wie alle Grünschnäbel wurden sie dabei ordentlich gerupft und bekamen die schlechtesten Anleihen – zweitklassige Fluggesellschaften, unterdurchschnittliche Handelsketten und so weiter«, meint Theo Phanos von Trafalgar Asset Managers in London. »Bei allen schlechten Unternehmensverkäufen waren sie mit im Spiel.«
Aber vom Premierminister abwärts fielen die politischen Führer der Insel über die Überbringer der schlechten Nachrichten her. »Diese Attacken stinken nach skrupellosen Händlern, die das isländische Finanzsystem zum Einsturz bringen wollen«, entrüstete sich Zentralbankchef Oddsson noch im März 2008. Der Vorstandsvorsitzende von Kaupthing beschuldigte vier Hedgefonds, sie legten es darauf
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