Boomerang
anderen überlegen war«, sagt Gylfi Zoega, Direktor des Fachbereichs Wirtschaft. »Alles drehte sich um unsere informellen Kommunikationskanäle, die Fähigkeit zu schnellen Entscheidungen und so weiter.«
»Wir haben immer gehört, die isländischen Unternehmer seien so clever«, sagt der Finanzprofessor und frühere Banker Vilhjálmur Bjarnason. »Sie seien schnell. Sie kauften schnell. Aber warum war das so? Das passiert normalerweise nur, wenn der Verkäufer mit dem Preis zufrieden ist.«
Man musste kein Isländer sein, um dem Kult des nordischen Bankers zu huldigen. Deutsche Banken versenkten 15 Milliarden Euro in isländischen Banken. Die Niederländer legten 215 Millionen drauf und die Schweden 280 Millionen. Britische Investoren, die von den atemberaubenden 14 Prozent Jahreszinsen angelockt wurden, legten sogar über 20 Milliarden Euro auf den Tisch: 19 Milliarden kamen von Unternehmen und Privatanlegern, der Rest von Pensionsfonds, |46| Krankenhäusern, Universitäten und anderen öffentlichen Einrichtungen. Allein die Oxford University verlor umgerechnet 35 Millionen Euro.
Wenn wir so wenig über Isländer wissen, dann liegt das vermutlich daran, dass es nur so wenige gibt. Wir gehen automatisch davon aus, dass sie mehr oder weniger so sind wie alle anderen Skandinavier: freundliche Menschen, die wollen, dass alle von allem den gleichen Anteil bekommen. Aber Isländer sind anders. Sie haben einen wilden Zug in sich, wie ein Pferd, das nur so tut, als sei es zugeritten.
***
An meinem dritten Tag in Reykjavík bekomme ich aus heiterem Himmel zwei Anrufe. Den ersten von der Produzentin einer führenden Nachrichtensendung. Ganz Island sehe ihre Sendung, behauptet sie und fragt mich dann, ob ich ihr ein Interview geben würde.
»Worüber?«, frage ich.
»Wir wollen, dass Sie unseren Zuschauern die Finanzkrise erklären«, antwortet sie.
»Aber ich bin doch erst seit drei Tagen hier«, erwidere ich.
Das mache nichts, meint sie, da in Island sowieso niemand verstehe, was passiert sei. Sie würden sich freuen, wenn ihnen jemand erklären würde, was passiert sei, auch wenn dieser Jemand nicht wisse, wovon er spreche. Was nur zeigt, dass sich die Isländer vielleicht doch nicht allzu sehr vom Rest der Welt unterscheiden. Während ich mich noch herausrede, bekomme ich einen zweiten Anruf, diesmal vom Premierminister.
Geir Haarde war nicht nur Premierminister, sondern auch Vorsitzender der Unabhängigkeitspartei, die das Land zwischen 1991 und 2009 regierte, in lockeren Koalitionen mit |47| der Sozialdemokratischen Volkspartei und der Fortschrittspartei. (Die vierte große Partei Islands waren die Grünen.) Dass eine Nation mit weniger als 300 000 Einwohnern, die zudem alle miteinander verwandt sind, vier Parteien benötigt, lässt entweder auf eine besondere Streitsucht schließen oder auf eine mangelnde Bereitschaft, dem anderen zuzuhören. Wie dem auch sei, von den vier Parteien steht die Unabhängigkeitspartei für die freie Marktwirtschaft. Sie ist außerdem die Partei der Fischer. Ihre Mitglieder sind, wie mir ein früherer Schulfreund des Premiers versicherte, »Männer, Männer, Männer. Nicht eine einzige Frau«.
Ich erwarte, dass ich beim Betreten des winzigen Regierungssitzes aufgehalten und durchsucht werde oder zumindest einen Ausweis vorlegen muss. Stattdessen sitzt am Eingang ein einziger Polizeibeamter, der die Füße hochgelegt hat und Zeitung liest. Gelangweilt blickt er auf. »Ich habe einen Termin beim Premierminister«, sage ich zum ersten Mal in meinem Leben. Er ist nicht beeindruckt. Jeder kann den Premierminister besuchen. Ein halbes Dutzend Leute erklärt mir, die Isländer seien deshalb überzeugt gewesen, dass man sie als globale Finanziers ernst nehmen würde, weil sie sich für wichtig halten. Und ein Grund dafür ist, dass jeder den Premierminister besuchen kann, wenn ihm danach ist.
Wie der Premierminister den Isländern den Crash erklären soll, ist eine offene Frage. Isländische Finanzpolitiker zeichnen sich durch eine charmante Ahnungslosigkeit in Finanzfragen aus. Der Wirtschaftsminister ist ein Philosoph. Der Zentralbankchef ist ein Dichter. Geir ist zwar Wirtschaftswissenschaftler, aber leider kein sonderlich guter: Er schloss sein Studium an der Universität von Island mit »befriedigend« ab. Die Führungsriege der Unabhängigkeitspartei steht insgesamt in |48| dem Ruf, keine Ahnung von Finanzen zu haben und sich standhaft zu weigern, Experten zurate zu ziehen.
Weitere Kostenlose Bücher